Taufstein mit Dämonenfratze und Judenhut in St. Agatha – An ihm wurde 1844 der Jude Salomon Abraham getauft, der sich fortan Franz Ewaldi nannte

Massentaufe von Juden, Buchmalerei aus "Königsberger Apokalypse", 13. Jahrhundert

Von Wolf Stegemann

„Am 3. d. M. empfing in hiesiger Pfarrkirche ein junger Israeli, Salomon Abraham, gebürtig aus Dülmen, 21 Jahre alt, das hl. Sakrament der Taufe. Der Curat-Priester Lic. theol. Dr. Oswald, welcher dem Neophyten den Unterricht in der christlichen Religion ertheilt hatte, vollzog die feierliche Taufhandlung und gab ihm den Namen Caspar Bernhard Franz Ewaldi …“

Taufstein St. Agatha mit Judenfratze, um 1280

Diese Sätze leiten einen kleinen Artikel ein, der am 10. November 1844 in dem in Münster erschienenen „Sonntags-Blatt für katholische Christen“ veröffentlicht wurde. Bei der Pfarrkirche handelt es sich um die Stadtkirche St. Agatha in Dorsten. Die Taufe des Salomon Abraham ist die einzig belegte Judentaufe in der Lippestadt. Weiter heißt es in dem Bericht, dass sich zu dieser „schönen Feier“ eine große Anzahl von Gläubigen eingefunden hatte. Der Geistliche Oswald richtete an den Täufling die Paulus-Worte „O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und Erkenntnis Gottes! Wie unbegreifliche sind seine Gerichte und wie unerforschlich seine Wege“ (Römer 11,33), mit denen er den Neugetauften auf die „wunderbare Führung Gottes“ aufmerksam machte und zugleich mit ihm alle Anwesenden aufforderte, die Pflichten des Taufbundes treu zu erfüllen. Taufpate war der Dülmener Vikar Niesung. Dieser stellte sein „Patenkind“, das den Beruf des jüdischen Schächters ausgeübt hatte, vor die Wahl, entweder Kaufmann oder Wissenschaftler zu werden. Der getaufte Franz Ewaldi, dessen Vater bereits gestorben war, entschied sich für Letzteres. Sein Bruder führte das Metzgergewerbe sowie einen Vieh- und Lumpenhandel in Dülmen fort. Franz Ewaldi wohnte in Dorsten Haus-Nr. 68 (Recklinghäuser Straße 20 der Vorkriegsnummerierung). Am 30. Oktober 1844 verzog der Konvertit nach Emmerich. Weiterlesen

Veröffentlicht unter Geschichte, Jüdisches, Kirchliches, Zurückgeblättert | Verschlagwortet mit , , , | 1 Kommentar

Wie geht’s Antonio Filippin? Seine Tochter Alexandra besuchte ihn. 23 Jahre nach seiner Auswanderung hat er sich auf den Seychellen paradiesisch eingerichtet

Antonio Filippin vor seinem Piratenmuseum auf der Insel Mahé; Fotos (4): Alexandra Filippin

Von Wolf Stegemann

9. September 2016. – Antonio Filippin? Wer ist das? Dorstens Nachwuchs bis in die Mittdreißiger wird ihn kaum kennen, aber die älteren schon. Darunter Generationen von Ursulinen-Schülerinnen und Schülern. Denn Antonio Filippin war ein Begriff in Dorsten und ist es in nostalgischer Verklärung heute noch: In seiner Eisdiele am Markt, gleich links neben dem Alten Rathaus, wo heute eine Pizzeria einlädt, gab es nicht nur Eis, Capuccino, Espresso und Kaffee – auch Kunst. Über ein paar Jahre hinweg war seine Eisdiele allwöchentlich der „Dorstener Künstlertreff“ und somit – man mag dem Verfasser den Überschwang nachsehen – das Zentrum der damaligen Dorstener Kunst und Literatur. Dort trafen sich die bildnerischen und literarischen Künstler und die, die es werden wollten. 1996 wanderte Antonio Filippin auf die Seychellen im indischen Ozean aus. Heute gibt es keinen Reiseführer und keinen Bildband, der nicht auf ihn hinweist. Wer über seinen Start in sein neues Leben auf den Seychellen mehr wissen möchte, kann den am Ende dieses Artikel angebrachten Link öffnen und nachlesen, wie es Antonio Filippin bis 1999 in der Hochglanzidylle erging. Jetzt besuchte ihn seine Tochter Alexandra, brachte Fotos und Informationen mit, wie es ihm in den Jahren danach erging. Und es ist äußerst spannend, was sie erzählt. Weiterlesen

Veröffentlicht unter Auswanderung, Das Porträt, Kunst, Was macht eigentlich ......? | Verschlagwortet mit , , , , | 6 Kommentare

Das Finke-Hähnchen wird 50: Launige Gedanken rund um Heinz-Peter Finke und seine gegrillten Flattermänner an der Borkener Straße – eine gute Adresse

Heinz-Peter Finke mit Blick in die Sonne; Foto: Wolf Stegemann

Von Wolf Stegemann

2. September 2016. – Eine kleine persönliche Vorbemerkung zum Thema Hähnchen sei dem Verfasser gestattet. Ein Freund aus Herne erzählte ihm vor 40 Jahren, dass er sich bei „Mercedes“ für eine gehobene Vertreter-Position beworben hätte und jetzt zu einem Vorstellungsgespräch in die Stuttgarter Zentrale eingeladen sei. Frohen Mutes fuhr er los und kam mit gleichem Gefühl zurück. Denn der Personalleiter und sein Assistent hätten ihn sogar zum Mittagessen in ein „Wienerwald-Restaurant“ zum Hähnchenessen eingeladen. Und das sage ja viel aus, meinte der Freund. Und da hatte er Recht. Aber nicht in seinem Sinne. Denn die Herren der Personalabteilung hatten zwar an seinen Zeugnissen nichts auszusetzen, doch an dem, wie er das Hähnchen aß. Um das herauszufinden, hatten sie ihn sozusagen als „Test-Esser“ eingeladen. Er fiel durch. In der Absage stand dann auch, warum. Gemäß dessen, was damals von den Tischsitten auch erlaubt war, aß er das halbe Hähnchen mit den Fingern, nagte das knusprige Fleisch mit den Zähnen von den Knochen ab und benutzte dazu weder Messer noch Gabel. Das sollte wohl nicht der Stil für chromblitzende „Mercedes“-Leute der damaligen Zeit sein. Weiterlesen

Veröffentlicht unter Anekdoten, Das Porträt, Gaststätten/Imbiss | Verschlagwortet mit , , , , | 4 Kommentare

Sind Namen Schall und Rauch? Sie sind lebenslange Kennzeichnungen, mit dem religiösen Taufakt aber auch mit dem Ordnungsbedürfnis des Staates verbunden – Nomen est omen

Von Wolf Stegemann

Alle Menschen müssen – zumindest bei uns – einen Namen haben. Nicht im übertragenen Sinne, wie man diese Feststellung auch lesen kann, sondern gesetzlich. Dabei ist es gleichgültig, ob Namen „Schall und Rauch“ sind, wie Goethes Mephisto zu Margarete sagt, oder man sie nicht zählen könne, wie in Schillers Ballade „Die Kraniche des Ibykus“, wo es heißt: „Wer zählt die Völker, nennt die Namen / Die gastlich hier zusammenkamen?“ Nicht zur Olympiade in Rio, sondern zum Wagenrennen auf Corinthus Landesenge. „Nomen est omen“ sagen die Etymologen und wollen wissen, was hinter den Namen steckt.
Während sich im Laufe unseres Lebens die Figur, der Haarwuchs, die Sehschärfe, der Freundeskreis, die Wohnorte, Postleitzahlen, das Briefporto, Partner und Telefonnummern ändern, ist nichts so beständig wie unser Nachname, von Änderungsmöglichkeiten bei Hochzeiten oder eingetragenen Künstler- oder Ordensnamen und anderen Möglichkeiten abgesehen. Die Dorstener Ursuline Gräfin von der Schulenburg hatte gleich drei solcher Namen: ihren bürgerlichen „Elisabeth“, dann „Tisa“ als Künstlerin und „Sr. Paula“ als Ordensnamen. Weiterlesen

Veröffentlicht unter Alltagsgedanken, Geschichte, Namensgeschichte, Namensrecht, Sprache | Verschlagwortet mit , , , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Was machen eigentlich … der em. Erzbischof von Hamburg und der höchste Repräsentant der Unternehmerfamilie E. Merck? In Dorsten begann die Karriere des einen und das Leben des anderen

Von Wolf Stegemann

12. August 2016. – Miteinander haben die beiden Hochkaräter vermutlich nichts zu tun. Gemeinsam ist ihnen, dass beide beruflich hoch aufgestiegen sind. Der eine durch den Papst, der andere durch Geburt. Doch beide verbinden noch sieben Buchstaben, die ein Wort bilden, und das heißt Dorsten. Der eine, Dr. Werner Thissen, war von  1966 bis 1969 Kaplan in Dorsten, bevor er 2002 Erzbischof von Hamburg wurde und seit 2014 als Emerit lebt. Der andere ist Dr. Frank Stangenberg-Haverkamp, der 1948 in Dorsten in die bekannte Chemiekonzernfamilie E. Merck hineingeboren wurde. Weiterlesen

Veröffentlicht unter Das Porträt, Industrie und Handel, Kirchen, Was macht eigentlich ......? | Verschlagwortet mit , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Bombenentschärfungen: Gefährliche Erinnerungen an den Krieg – spektakuläre Räumung der Dorstener Altstadt 1958; vorläufig letzter Fund im August 2016

Mit 300 Strohballen wurde 1958 der Fundort der Bombe in der Recklinghäuser Straße abgesichert (RN)

Von Wolf Stegemann

12. August 2016. – Auch 71 Jahre nach Kriegsende werden im Boden immer noch Bomben gefunden, die beim Abwurf vor sieben Jahrzehznten nicht explodierten und bis heute gefährliche Blindgänger sind. Man findet sie in Wohn- und Baugebieten, in Flüssen sowie unter Äckern und Feldern. Manchmal müssen die Bewohner in einem bestimmten Umkreis des Fundortes bei der fachmännischen Entschärfung evakuiert werden. Mitunter mit großem Aufwand. Meist gibt es bei der Entschärfung keine Probleme, doch dann explodiert die Bombe wie 2010 in Göttingen mit drei Toten.
Die zuletzt gefundene Bombe in Dorsten wurde vor wenigen Tagen, am 4. August 2016, an der Straße „Am Güterbahnhof“ gefunden und vom zuständigen Kampfmittelräumdienst Arnsberg unschädlich gemacht. Der Evakuierungsradius betrug 150 Meter. Bewohner in diesem Bereich mussten ab 14 Uhr anderswo untergebracht werden, Straßen wurden abgesperrt. Sprengmeister Andreas Brümmer konnte nicht einmal zwei Stunden später die Alarmstufe aufheben. Die 250-Pfund-Bombe war entschärft. Weiterlesen

Veröffentlicht unter Kriegsspuren, Zurückgeblättert, Zweiter Weltkrieg | Verschlagwortet mit , , | 2 Kommentare

Gewalt von und unter Kindern nimmt zu – Steinigung eines Vierjährigen durch einen Siebenjährigen in Wulfen erschreckte 1988 Eltern, Jugendamt und Psychologen in Dorsten

Von Wolf Stegemann

5. August 2016. – Zwei Kinder und eine minderjährige Jugendliche – 11, 13 und 17 Jahre alt –, die aus einem Land in Südosteuropa stammen und in Dortmund gemeldet sind, fuhren im letzten Jahr mit dem Zug nach Dorsten und griffen hier eine 82-jährige Seniorin an, um sie zu berauben. Der Fall macht fassungslos. Doch die Möglichkeiten von Einrichtungen wie dem Sozialen Dienst der Stadt, auf gewalttätige bzw. kriminelle Kinder und Jugendliche einzuwirken, sind begrenzt. Fassungslos machen auch die Berichte und Reportagen über Kindergewalt in Afrika, wo Kinderarmeen gebildet und eingesetzt werden. Und auch der so genannte Islamische Staat setzt Kinder und Jugendliche für den Terror ein. So ist Gewalt an und von Kindern zu einem wichtigen Thema in den Medien geworden – in den Massenmedien ebenso wie in den Fachmedien. Weiterlesen

Veröffentlicht unter Aus dem Alltag, Gesellschaft, KInder | Verschlagwortet mit , , , , , | Hinterlasse einen Kommentar