Brunnen-Debatte II: Sr. Paula sah in dem Objekt stets eine Ganzheit von Brunnen und Kunst. Darüber gibt es Dokumente. Rat und Kunstbeirat sehen das offensichtlich nicht so

Von Wolf Stegemann – teils kommentierend

25. Juni 2020. – Der Rat der Stadt Dorsten verabschiedete am 24. Juni den 14. Punkt der Tagesordnung. Bürgermeister Tobias Stockhoff  leitete die Debatte mit den Worten ein, dass jetzt ein „hochspannender Punkt“ behandelt werde – der Tisa-Brunnen. Doch spannend waren weder die weiteren Einlassungen des Bürgermeisters noch die Beiträge der Fraktionsvorsitzenden, über die hier wenig berichtet werden kann. Denn wer mit umgeschnallter Maske am Mikrofon und nicht ins Mikrofon sprach, der war zumindest in den hinteren Rängen der Petrinum-Aula kaum oder gar nicht zu verstehen. Genauso spannungslos war auch das einstimmige Abstimmungsergebnis des Beschlussvorschlags der Fraktionsvorsitzenden: Die „Originalkunstwerke“ des Brunnens werden gesichert und der Öffentlichkeit (irgendwo) zugängliche gemacht. Mit dem Nachfolgebrunnen soll die „Wertschätzung“ von Tisa von der Schulenburg (Sr. Paula) zum Ausdruck kommen. Ins Gespräch brachte der Bürgermeister dabei die Geschwister-Scholl-Säule an der gleichnamigen Schule. Wie das allerdings gemeint war, ließ er offen, ebenso in der nachgereichten schriftlichen Presseerklärung. Es fragte auch keiner danach. Doch soll an allen Vorhaben bezüglich des Brunnens die Bevölkerung mitwirken. An der bisherigen Mitwirkung und über die medialen Veröffentlichungen übte der Bürgermeister Kritik: In der wie erwartet emotional geführten öffentlichen Diskussion um die Zukunft des Tisa-Brunnens auf dem Marktplatz hätten einige Argumentationsstränge den ursprünglich sehr sachlichen und konstruktiven Kurs verlassen. So hätte sich der – falsche! – Eindruck verfestigt, die Stadt Dorsten betreibe den dauerhaften Abbau des Kunstwerks. Soweit zur Ratssitzung und deren Beschluss.

Kunstbeirat findet die Kunst nicht unbedingt zum Brunnen gehörend

In der Praxis heißt das, dass jetzt aktuell erstmal nichts passiert. Dieser Beschluss war von vorneherein zu erwarten. Denn der sogenannte Kunstbeirat hat eine solche grundlegende „unabhängige“ Empfehlung bereits gegeben. Diesem Gremium gehören auch maßgebliche Mitglieder des Stadtrates an, die als Laien über Kunst in der Stadt dem Stadtrat, dem sie angehören, Empfehlungen geben. Sie können dann in Ratssitzung keine andere Meinung vertreten oder ihr zustimmen.
Eindeutig war in der Ratssitzung zu erfahren, dass die Lokalpolitiker den künstlerisch gestalteten Brunnen nicht als Kunsteinheit sehen, sondern als einen Brunnen und gesondert die künstlerische Ausstattung. Die 2001 verstorbene Künstlerin, Tisa von der Schulenburg, gewesene Ehrenbürgerin der Stadt, würde sich – Entschuldigung für die saloppe Redewendung – im Grab umdrehen, hätte sie diese Diskussion im Stadtrat über ihre Kunst und ihren Brunnen gehört. Dass Brunnen historisch, philosophisch, gesanglich, literarisch und künstlerisch einen Eigenwert haben und zu den Menschen in den Städten gehören wie Straßen, Plätze, Denkmale und Kirchen ist überall nachzulesen.
Nachzulesen ist auch, was die Künstlerin über ihren Brunnen dachte und sagte. Doch das war den Ratsmitgliedern offensichtlich nicht wichtig genug, sonst hätten sie ihre Aussagen recherchieren müssen. Auch in der Empfehlung des Kunstbeirats ist darüber nichts zu lesen. Zu lesen ist aber, dass der Brunnen an sich kein Kunstwerk sei, sondern nur die Reliefplatten. Diese Feststellung, die der Stadtrat übernommen hat, wird von Sr. Paulas Aussagen über ihren Brunnen widerlegt. Schwester Paula schuf mit ihrem Brunnen einen erzählenden Brunnen.

Sr. Paula in den 1980er-Jahren: Geschichte fließt wie ein Brunnen

Wer Schwester Paula gut kannte, der hatte auch Gelegenheit, über ihren Brunnen zu sprechen. Der Verfasser kann sich erinnern, dass er zusammen mit Sr. Paula und Rolf Schmich (Marktleiter der Sparkasse, die den Brunnen 1962 gesponsert hatte) in den 1980er-Jahren vor dem Brunnen stand und Sr. Paula mit den beiden über den Brunnen sprach. Sie erklärte, dass sie diesen Brunnen mit Motiven der Stadtgeschichte deshalb gerne gemacht hatte, weil Brunnen mit fließendem Wasser für Leben stehe. Und sie habe hier einen Brunnen geschaffen, der als Brunnen aussagt, dass die heutige Stadt und ihre Bewohner ein Produkt der Stadtgeschichte seien. Geschichte fließe wie ein Brunnen. – So Sr. Paula. Daher hat sie immer den Brunnen mit ihrer Kunst verwoben gesehen. Schade, dass sie das dem Bürgermeister und den Stadträten nicht mehr sagen kann. Aber man kann es nachlesen!

Dokument belegt Sr. Paulas Gedanken bei der Schaffung der Brunnens

Sr. Paula hat nämlich schriftlich hinterlassen, was sie über den Brunnen zu erzählen wusste, was sie bei der Arbeit „beschäftigte, ja bedrängte“.
Die Künstlerin 1961: „Was sagen mir ,Wasser’ und ,Brunnen’? Was sagte mir die Geschichte der Stadt Dorsten? Was wollte ich mit diesem Brunnen sagen, und vor allem, wen wollte ich es sagen? Das Thema Wasser schien mir unerschöpflich. Wasser, das den Durst löscht, Wasser, das, wie Christus verheißt, in Ewigkeit den Durst löscht, Wasser, das durch Christi Wort geheiligt, zu Wein wird, Wasser, das reinigt, das uns in der Taufe reinigt. Das erste Bild, das sich aufdrängte, war der Untergang der Ägypter, der Durchzug der Israeliten. Aber hatte die Stadt Dorsten in jüngster Zeit nicht auch einen solchen Untergang und Durchzug erlebt? Und schon war das Bild der ,brennenden’ Stadt gegeben.“
Es folgen weitere Ausführungen zur Geschichte der Stadt. Dann schreibt sie: „Ich wollte also die Stadt selbst sich ausdrücken und bezeugen lassen. Der Brunnen einer Stadt ist ja so etwa wie ihr sozialer Mittelpunkt. Er müsste so sein, dass alle Einwohner der Stadt sich darin angesprochen und bezeugt sehen, dass sie spüren, ,dies sind wir’! Es handelt sich also darum, eine ,Ganzheit! darzustellen, wie sie vielleicht in der Realität in unserem neuen Dorsten noch gar nicht verwirklicht ist – eine Einheit, ein Gemeinsames.“ – So Sr. Paula 1961 über ihren Brunnen.

Ihre Gedanken zu ihrem Brunnen-Kunstwerk haben Bürgermeister, Stadtrat und Kunstbeirat ignoriert. Denn in ihrem einstimmigen Beschluss ist auch die Vernichtung dieses Brunnens, wie ihn die Künstlerin erdacht, errichtet und gesehen hatte, enthalten. Das kann man machen, muss aber wissen, dass man es dann an der immer wieder hochgelobten Wertschätzung der Künstlerin und  Ehrenbürgerin fehlen lässt.

Siehe auch: Brunnen-Debatte I: Verwaltung und Rat der Stadt Dorsten fehlt offensichtlich der Sinn für Kunst …
Siehe auch: Einer der mächtigsten Banker, Ludwig Poullain, beauftragte 1959 die Künstlerin Sr. Paula, den Marktbrunnen zu gestalten und machte sie danach über die Stadtgrenzen bekannt
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Anmerkung: Übrigens hat Sr. Paula 1977 einen ähnlichen Brunnen für Hamborn geschaffen, den „Hamborner Brunnen“. Er steht westlich der heutigen Abteikirche an der historischen Stelle, an der Hamborn (Born = Wasserstelle) seinen Ursprung hat. Sr. Paula stattete den Springbrunnen mit acht Bronzeplatten, auf der die Geschichte der Stadt reliefartig dargestellt ist. Sie sind in einer 16-seitigen Broschüre abgebildet und beschrieben. Quellen: „Eine Sparkasse baut ihrer Stadt einen Brunnen“, hg. Ludwig Poullain, o. J. vermutlich 1962 – „Der erzählende Brunnen“ in Deutsche Sparkassenzeitung“ vom 20. September 1963. – „Der Hamborner Brunnen“, Broschüre o. J. (alle Dokumente in Stegemanns Tisa von der Schulenburg-Archiv). – Die Fotos zeigen die Brunnentafeln nach der Einweihung des Brunnens.

 

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4 Kommentare zu Brunnen-Debatte II: Sr. Paula sah in dem Objekt stets eine Ganzheit von Brunnen und Kunst. Darüber gibt es Dokumente. Rat und Kunstbeirat sehen das offensichtlich nicht so

  1. WvS sagt:

    Diese Stadtverwaltung ist einfach nur gemein. Warum wird das Wenige, das noch schön und betrachtenswert ist, einfach zerstört. So schön, die Kinder an den Brunnen ihr Eis essen zu sehen, die älteren Menschen, die sich zu einem kurzen Gespräch auf die Platten setzen. Bei Hitze einfach kurz die Hände in den Wasserstrahl halten, wohltuend. Allerdings brachte all das finanziell gar nichts. Das hat die Verwaltung nicht gern. Die Bürger werden ihren Meister aber auch nicht gerne haben. Denn was haben sie schon von ihm und seinem Gefolge?

  2. M. Ch. Köster sagt:

    Brunnen – verschönern sie Plätze und Parkanlagen, sie sind Treffpunkte und Oasen, an denen man verweilen und, wenn nötig, sich abkühlen kann. Sie verbessern das Mikroklima. Aber all das scheint die bestimmenden Politiker der Stadt Dorsten nicht zu interessieren. Die Brunnen müssen weg. Basta! So geht man mit Geschenken um. Und, was sagen denn die Grünen, die sind doch noch im Rat vertreten, oder, dazu? Vom Bürgermeister kennt und erwartet man ja nichts anderes, aber dass so gar kein Widerspruch kommt, weder von der SPD noch von den Grünen, das lässt schon tief blicken. Dorstener Ratsherren mögen keine Schönheit in der heruntergekommenen Innenstadt. Weder der schöne Platz am Kanal (verbaut durch den Mercaden-Klotz – wie viel Leerstand mittlerweile?) noch der kunstvolle historische Sr.-Paula-Brunnen auf dem Marktplatz noch der Granatapfelbrunnen, ein wahres Kunstwerk, plätschern. Diese Stadtverwaltung macht nur eins: dem Bürger das Leben schwer.

  3. Gerhard Schute sagt:

    Nur noch peinlich
    Besser als mit den Originalzitaten von Schwester Paula kann man das Urteil des Kunstbeirats und den folgenden Beschluss des Rates nicht ad absurdum führen. Der Text von Schwester Paula ist doch sicher auch im Stadtarchiv vorhanden und hätte – bei halbwegs gründlicher Vorbereitung – auch dem Beirat und später dem Rat an die Hand gegeben werden müssen.
    Das Fazit: Die Bewertungen von Beirat und Rat sind schlichtweg respektlos!
    Dass ein Replikat des Brunnens jetzt eine Pflichtaufgabe für die Stadt ist, wird hoffentlich niemand mehr in Frage stellen. Den Kunstbeirat in dieser Sache noch einmal zu hören, sollte sich nach dieser peinlichen Disqualifikation erledigt haben.
    Gerhard Schute

  4. Dirk Hartwich sagt:

    Mein Beitrag zum Thema ist bereits am 8.3.2020 auf http://www.spd-rhade.de erschienen:

    Schwester Paula und Dorsten – Ein Glücksfall
    Der TISA-Brunnen muss da bleiben, wo er ist – Eine persönliche Anmerkung
    Tisa von der Schulenburg konvertierte zum katholischen Glauben, trat ins Dorstener Ursulinenkloster ein und wurde zu Schwester Paula. Sie war eine Persönlichkeit und große Künstlerin. Sie war ein Geschenk für unsere Stadt. Und sie beschenkte uns alle fortwährend. Der Brunnen auf dem Markplatz, von ihr gestaltet, gehört dazu. Jetzt wird öffentlich darüber diskutiert, ihn wegen der Restaurierungskosten auszulagern, oder sogar aufzugeben. Die folgende persönliche Stellungnahme wurde der Verwaltung als Positionierung inzwischen zugestellt. Der Wortlaut:
    Mit Interesse verfolge ich die Frage, ob der Tisa-Brunnen seinen Standtort wechseln oder sogar aufgegeben werden sollte. Schwester Paula, eine außergewöhnliche Persönlichkeit und Künstlerin, war immer ein Gewinn für unsere Stadt. Die Verleihung des Titels Ehrenbürgerin war mehr als gerechtfertigt. Das, was sie uns als „Erbe“ hinterlassen hat, sollte als Dorstener Verpflichtung, es zu bewahren, angesehen werden. Der Brunnen wurde bewusst zentral aufgestellt. Da sollte er unbedingt bleiben. Gut wäre, die Anregung wurde mehrfach vorgetragen, eine Informationstafel zum Werk Schwester Paulas in direkter Nachbarschaft aufzustellen. Ich glaube, dass unsere Stadt viel mehr als bisher mit Schwester Paula „werben” könnte. Etwas ironisch füge ich hinzu: mehr als mit den Mercaden. Ich hoffe, meine Positionierung bringt Sie davon ab, die aufgeworfene Frage unter dem finanziellen Aspekt zu entscheiden.
    Mit freundlichen Grüßen – Dirk Hartwich
    (Ich habe Schwester Paula gekannt und geschätzt. Ihre Großzügigkeit und Aufgeschlossenheit beeindruckt mich bis heute. Ich denke, das empfinden viele Bürgerinnen und Bürger noch ebenso. Ein Appell auch gegen das schnelle Vergessen).

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