Rund ums Geld (3): Die Inflation vor 100 Jahren – Vor dem Polizeikommissariat demonstrierten im September 1921 aufgebrachte Holsterhausener gegen die Preissteigerungen

50 Milliarden Mark – Geldschein aus em Jahr 1923

Von Wolf Stegemann

In den Radio- und TV-Sendungen sowie in den Zeitungen ist seit einiger Zeit die Inflation ein beherrschendes Thema. Die Menschen merken es am eigenen Portemonnaie, wie alles teurer wird. Die Inflationsrate ist aktuell mit rund 5 Prozent so hoch, wie zuletzt im Jahr 1999. Das Wort Inflation ist lateinisch und heißt soviel wie „Sich-Aufblasen“ oder „Aufschwellen“. Hier gemeint ist das Geld. Geldentwertung durch Geldvermehrung. Simpel erklärt: Der typische Verlauf geht so: weil der Staat mit seinen Einnahmen nicht auskommt, nimmt er Schulden bei der Zentralbank auf und diese druckt neues Geld. Das erinnert an die große Inflation vor rund 100 Jahren. Durch ständige Geldvermehrung stieg im Deutschen Reich ab 1921 die Geldentwertung bedenklich an. Während sich durch rapide Preiserhöhungen der Lebensstandard weiter Bevölkerungsschichten verschlechterte, häuften einige Unternehmer durch Spekulationsgeschäfte riesige Vermögen an. Die deutsche Wirtschaft war durch den verlorenen Ersten Weltkrieg in große Schwierigkeiten geraten: Die Umstellung auf Kriegswirtschaft und die fehlenden Investitionen im Bereich der zivilen Produktion bewirkten einen Stillstand der wirtschaftlichen Entwicklung. Zudem hatten die Gebietsabtretungen den Verlust wichtiger Wirtschaftszentren zur Folge. Die Überschuldung des Staates durch Kriegsanleihen verhinderte staatliche Aufträge an die Wirtschaft und die unternehmerischen Aktivitäten wurden durch den Währungsverfall behindert.

Ungehemmte Finanzierung der Staatsausgaben durch gefrucktes Geld

Entscheidend für die Geldvermehrung war die ungehemmte Finanzierung der Staatsausgaben durch Darlehen der Reichsbank, die damals der Weisungsbefugnis der Regierung unterstand. Die Staatsverschuldung durch die Kriegsanleihen, die im Fall eines Sieges durch die von den besiegten Feinden zu entrichtenden Kriegsentschädigungen zurückgezahlt werden sollten, konnten auch durch Steuererhöhungen nicht ausgeglichen werden. In zahlreichen Städten kam es durch Preissteigerungen für Grundnahrungsmittel zu Unruhen. Im September 1921 demonstrierten aufgebrachte Holsterhausener vor dem Kommissariat an der Pliesterbecker Straße. Gemessen an den Lebenshaltungskosten betrug die Geldentwertung, die 1918 im Vergleich zum Vorjahr 26 Prozent betrug, 1921 bereits 65 Prozent. Einzelne Unternehmer, besonders im rheinisch-westfälischen Industriegebiet, Hugo Stinnes und Friedrich Flick, nutzten die inflationäre Situation, indem sie und andere den Erwerb von wertbeständigen Investitionen und Sachwerten mit dem immer wertloser werdenden Papiergeld bezahlten. Durch eine Zusammenarbeit der Montanindustriellen, die bereits durch Kriegsgewinne groß geworden waren, wurden Milliarden-Vermögen angehäuft, während die Bevölkerung Not litt.

Pfarrer Heming nahm an einem Sonntag 1,4 Millionen Mark Kollekte ein

Auf dem Höhepunkt der Inflation in der zweiten Jahreshälfte 1923 waren die Preise für Nahrungsmittel in kaum vorstellbare Höhen gestiegen. Löhne und Gehälter wurden wöchentlich ausgezahlt und das Geld mittels Waschkörben in die nächsten Geschäfte zum Kauf von Eiern, Butter oder Brot getragen. Die Preise stiegen täglich und auch stündlich. Ein Ei kostete im Juni 1923 rund 800 Mark, im November schon 320 Milliarden Mark. Der monatliche Bezugspreis für die „Dorstener Volkszeitung“ (heute DZ) stieg im November 1923 auf 250 Milliarden Mark. Die kassierenden Zeitungsboten  fuhren mit der Karre vor, um das Zeitungsgeld zu kassieren. Anzeigen in der Dorstener Lokalzeitung während der Inflation sind interessante Zeugnisse dieser Zeit. Da wird Heu für 100.000 Mark angeboten, kurz darauf eine neue Frisur beim Damenfrisör für 1,5 Millionen Mark. Am 3. Juni 1922 hatte Pfarrer Heming von der Agathakirche für „Kultur und den Unterhalt von Geistlichen“ eine Kollekte in Höhe von 1,4 Millionen Mark im „Klingelbeutel“, eine Woche später für den gleichen Zweck 1,8 Millionen. Am 30. September 1923 machte das Pfarramt von St. Agatha darauf aufmerksam, dass Tausendmarkscheine nicht mehr von der Kirchenkasse angenommen würden, da sie keinen Wert mehr hätten! In seine Chronik schrieb Pfarrer Ludwig Heming:

„Übrigens war das so eine Sache mit den Kollekten. Die Sammler kehrten mit gehäuften Körben (die kleinen Körbchen waren längst abgeschafft) in die Sakristei zurück. Im Pastorat wurden dann die Scheine sortiert. Viele Städte und Kreise hatten eigenes Geld (auch Dorsten). Alle diese Scheine wanderten in den großen Wäschekorb, auch die verfallenen großen Scheine, wie also jetzt die Tausendmarkscheine. Und dann musste man möglichst schnell für die übrig gebliebenen guten Scheine Waren kaufen, sonst waren sie schon nach zwei Tagen wieder entwertet.“

Geldentwertung und Lebensmittelpreise im Vergleich

Ein Pfund Brot kostete vor dem Ersten Weltkrieg 14 Pfennige, im November 1923 aber 260 Milliarden Mark, nach der Stabilisierung 1924 wieder 22 Pfennige; ein Pfund Butter: 140 Pfennige, dann 6.0000 Milliarden Mark, danach 220 Pfennige; ein Pfund Kartoffeln: 4 Pfennige, dann 50 Milliarden Mark, danach 7 Pfennige; ein Ei: 8 Pfennige, dann 80 Milliarden Marl, danach 11 Pfennige; ein Glas Bier: 13 Pfennige, dann 150 Milliarden Mark, danach 24 Pfennige. Im Vergleich zur Inflation 1923 ist die Währungsreform 1948 als Liquidationsfolge des Zweiten Weltkriegs dagegen wesentlich glimpflicher abgelaufen. Ein Umtausch von 10 : 0,65 genügte, um die Währung wieder zu stabilisieren.

Geldbündel hinterm Altar in der Stadtkirche St. Agatha versteckt

Anfang November 1923 teilte der Pfarrer von St. Agatha von der Kanzel den Gläubigen zur „gütigsten Berücksichtigung“ mit, dass sie bei Kollekten für Kultus und Geistliche keine Scheine unter 500 Millionen Mark mehr abgeben sollten, da diese von den Dorstener Banken nicht mehr angenommen werden würden. Und in die Chronik schrieb er:

„Übrigens wussten die Leute nicht mehr, was sie machen sollten. Manche gingen hin und legten packenweise die verfallenen Scheine hinter die St. Josefstatue. Ich glaube, dass daran der hl. Josef wenig Freude gehabt hat.“

Die Inflation führte zu einer großen Verarmung auch im Mittelstand

Während einige Unternehmer als Spekulanten und „Inflationsgewinnler“ die Geldentwertung ausnutzten und mit wertlosem Geld wertvolle Sachwerte zusammenkaufen konnten, führte die Inflation vor allem beim Mittelstand zu einer Verarmung in großem Umfang. Zur Verschärfung der Geldentwertung trug die Finanzierung des von der Regierung  angeordneten „passiven Widerstands“ durch Streiks und Arbeitsniederlegung gegen die Ruhrgebietsbesetzung der Belgier und Franzosen bei. Auch Dorsten war besetzt. Energische Maßnahmen gegen die Inflation sind bis zum endgültigen Zusammenbruch der Währung im November 1923 aus unterschiedlichen Gründen unterblieben: Ein Teil der deutschen Wirtschaft (Exportindustrie) profitierte von den geringen Lohnkosten im Inland und die Reichsregierung wollte durch die desolate Lage im Reich den Siegermächten die deutsche Leistungsunfähigkeit demonstrieren, um die großen Reparationsforderungen abzuwehren. Die Kriegsschulden des Deutschen Reiches nahmen durch die Inflation ab. 154 Millionen Mark vom November 1923 hatten nur noch den Wert von 15,4 Pfennigen des Jahres 1914. Im November 1923 war das deutsche Währungssystem nicht mehr funktionsfähig. Es musste stabilisiert werden. Eine Billion Papiermark wurden zu einer Rentenmark, die durch eine vierprozentige Grundschuld auf den deutschen Land-, Forst- und Industriebesitz gedeckt war.

Froh über das Ende der Inflation

Die Rentenmark war allerdings auch nur eine Übergangslösung. Am 30. August 1924 wurde sie von der Reichsmark abgelöst. Dazu schrieb Pfarrer Heming unter dem 1. Dezember 1923 in seine Agatha-Chronik:

„Aufhören der Inflation. Stabilisierung der Mark. Eine Mark = eine Billion. Vielen kam diese Deflation zu früh, auch unserer katholischen Kirchengemeinde, denn unser Verputz (Innenraum der Kirche) war noch nicht ganz fertig. Die Arbeiten dauerten noch bis Mitte Januar, so dass wir ungefähr mit 1.500 Mark Schulden abschlossen. Trotzdem aber waren wir alle froh, dass endlich diese schreckliche Zeit der großen Aufregungen vorbei war.“

Die alten Währungen (Papiermark, Goldmark) blieben zunächst noch in Umlauf, so dass es nun drei Währungen gleichzeitig in Deutschland gab. Der Geldumlauf war in extreme Höhen gestiegen: Im November 1923 waren neben den mehr als 500 Trillionen Buchgeld fast 500 Trillionen Mark Bargeld im Umlauf, dazu kamen rund 200 Trillionen Mark Notgeld der Gemeinden, der Unternehmen und anderer Institute. Die Einführung der Rentenmark bewirkte das Ende der Inflation.

Siehe auch:
Rund ums Geld (1): Vom Kaurischneckenhaus über Münzen und  Geldscheine zum Kreditkarte – Rheinische Gulden, Taler, Rentenmark, Reichsmarkt, Deutsche Mark, Euro.

Rund ums Geld (2): Dorstener Münzen – Dorsten prägte Münzen mit falschem Silbergehalt und wirtschaftete somit in die eigene Tasche – Heute wäre dies ein Fall für den Staatanwalt

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Anmerkung: Der nächste Beitrag „Rund ums Geld) informiert über das sogenannte Notgeld der Stadt Dorsten vor 100 Jahren. – Quelle: Unveröffentlichte Chronik von Pfarrer Pfarrer Heming, der von 1922 bis 1940 Pfarrer an St. Agatha war. – Wikipedia (Aufruf Inflation, 2022).
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