Zum hundertsten Geburtstag Joseph Beuys’ prächtiger Bildband des Künstlers Dieter Schröder mit Texten von Wolf Stegemann erschienen: „Jupp, wir vermissen dich!“

Von Andrea Schüller

9. Mai 2021. – Jetzt liegt er vor – der Bildband, den der Bottroper Künstler Dieter Schröder dem 1986 verstorbenen und mittlerweile weltbekannten Künstler Joseph Heinrich Beuys zu dessen 100. Geburtstag am 12. Mai 2021  gewidmet hat. Entsprechend heißt der Bildband „jupp, wir vermissen dich“ Im erklärenden Untertitel steht: „mit, von und für joseph heinrich beuys, ein rückblick in die zukunft zum hundertsten, skizziert von dieter / 1921, text von wolf stegemann“. Letzterer schrieb den Prolog „Joseph Beuys/Dieter Schröder – Der Blick zurück richtet sich nach vorn“ Mit den Arbeiten, die in diesem Beuys gewidmeten Bildband veröffentlicht sind, hat Dieter Schröder weit über 40 Jahre lang die Theorie der Kunst analysiert, in die Praxis umgesetzt und somit erlebbar gemacht. Kernstücke in diesem Bildband sind die Beuys-Porträts. „Sie sind zwar eigenständig, zeigen aber den Charakter und die visuelle Stärke von Joseph Beuys.“

„Beuys’ Liberalität mobilisierte mich hoch drei!“

Was auch immer: Joseph Heinrich Beuys war ein weltweit bekannter produktiver Unruhestifter der modernen Kunst, ein Genie, der Kunst und Leben als Einheit sah und so agierte. Der Bottroper Künstler Dieter Schröder nennt ihn daher eine „Lichtgestalt in der Kunst“, eine „Galionsfigur in der Kunstszene“. Doch wie kam Dieter Schröder (74; Foto) zu dieser Einschätzung? Dieter Schröder ist Joseph Beuys nie persönlich begegnet, doch mit seiner Kunst und seiner politischen Aussagekraft begegnet er Beuys seit 40 Jahren. Als Dieter Schröder in den 1980er-Jahren sich erstmals mit einer Radierung von Beuys in Verbindung mit dem mittlerweise weltbekannten Beuysspruch „Jeder Mensch ist ein Künstler“ befasste, unterlag er dieser Faszination. „Beuys’ Liberalität mobilisierte mich hoch drei. Für mich ist Beuys heute allgegenwärtig.“ Dazu trugen die Besuche der Dokumenta in Kassel sowie die Begegnung Schröders mit Hans von der Grinten bei, der in Schloss Moyland am Niederrhein ein Beuys-Museum eingerichtet hatte. Dort werden Schröders Beuys-Porträts archiviert, vielleicht auch ausgestellt.

Theorie der „Freien Internationalen Universität“ bildnerisch umgesetzt

Hervorzuheben sind die Beuys-Porträts von Dieter Schröders, die dieser als „Kernstücke“ dieses Bandes sieht. Die Kaltnadelradierung „Hut ab“, die Buntstiftzeichnung „Blaubasalt“ und die Farbradierung „Jupp“ als Unikat. Joseph Beuys ohne den Hut, den man mit Beuys sowohl praktisch als auch symbolisch in Verbindung bringt, ist auf der Kaltnadelradierung zu sehen. Jeder Strich in der Radierplatte  ist gekonnt und bedeutungshinweisend gesetzt. Naturgemäß muss sich der Betrachter in das Abbild von Beuys „einlesen“, dann erfährt man viel über ihn, seine Person, seinen Charakter in jener Zeit, in der er der Kunst einen revolutionären Stempel aufdrückte, mit dem er Menschen beeindruckte aber auch verwirrte. Daher zeigt die Kaltnadelradierung nicht nur den Kopf von Joseph Beuys, sondern sämtliche Facetten eines anspruchsvollen Menschen wie auch eines humorvollen Künstlers. Die Porträts einer Person, die persönlicher nicht sein können und die Vielfalt der Charaktere des Joseph Beuys darstellen, sind daher in diesem Bildband an erster und letzter Stelle zu sehen. Somit beginnt und schließt sich der Kreis des Künstlers Dieter Schröder, der mit den Darstellungen seines 40 Jahre anhaltenden künstlerischen Lebens dem Joseph Heinrich Beuys zu dessen Hundertsten mit diesem Rückblick in die Zukunft sieht. Allein diese Porträts, die Abfolge der weiteren Bilder und nicht zuletzt die Beuys-Skulptur mit einem Isolator als symbolischen Kopf, eine Blaubasaltsäule als Korpus und zwei Backsteine von Schloss Moyland als Füße führen dem Betrachter Beuys immer wieder vor Augen und lassen ihn erleben. Auch die Beuyssche Theorie der „Freien Internationalen Universität“ wurde bildnerisch umgesetzt wie auch der Bezug zu außergewöhnlichen kunsttheoretischen Themen. Die theoretischen Elemente, die Beuys immer wieder umsetzte, so auf der 7. Dokumenta in Kassel, interpretierte Schröder weiter, nicht zuletzt auch durch die Sandplastiken beziehungsweise Sandskulpturen. Die in diesem Bildband abgebildeten Werke sind mit Titel versehen, um dem Betrachter bei der Deutung des Bildes einen Hinweis zu geben, was aber die Sichtweise nicht einschränkt und somit genügend Interpretationsspielraum bietet.

Dorstener Kulturdezernent lehnte die Kunstaktion mit Beuys ab

Auf 284 großformatigen Seiten sind 425 Farbfotos von Bildern und Plastiken zu sehen, die entweder Beuys zeigen oder ihm und seiner Kunst gewidmet sind. Im Beuys-Jubiläumsjahr 2021 reiht sich dieser Bildband ein in eine lange Kette von Ausstellungen in Galerien und Museen, von Dokumentarberichten, kunstwissenschaftlichen Betrachtungen und Gesprächen von Beuys-Experten in den Funk- und Printmedien. So auch das Buch des Bottroper Dieter Scroeder und des Dorsteners Wolf Stegemann. Am Ende dieses Jubiläumsjahres wird Beuys bei vielen Menschen gedanklich als „Heiliger vom Niederrhein“ erscheinen. Das war nicht immer so. Vor gut 40 Jahren galt Beuys (1921-1986) in der Öffentlichkeit bei ebenso vielen Menschen, die ihn und seine Kunst heute verehren, als Scharlatan, Spinner, Kunstclown oder Gaukler.
Mit dem Namen und der Person Beuys gibt es auch einen Bezug zu Dorsten, der in diesem Buch auch veröffentlicht ist. Die persönliche Bekanntschaft des Dorstener Journalisten Stegemann mit dem Künstler Joseph Beuys noch aus seiner Gelsenkirchener Zeit brachte 1983 die Idee hervor, auf dem Dorstener Marktplatz einen Tag lang mit Joseph Beuys und einer Schar von Mitstreitern der „Freien Internationalen Universität“ und „Zone Fluxus West“ ein Happening zu veranstalten. Die terminlichen, inhaltlichen und organisatorischen Konzeptionen wurden ausgearbeitet. Der Dorstener Bildhauer Antonio Filippin (seit 1996 auf den Seychellen) war ebenso dabei wie Beuys-Meisterschüler Johannes Stüttgen aus Gelsenkirchen. Vorangegangen war die in den „Ruhr-Nachrichten“ veröffentlichte Frage an Joseph Beuys, ob er denn auch nach Dorsten käme, wenn seine Kunst hier abgelehnt werden würde, und er Anpöbelungen befürchten müsste, wie es damals gegenüber Beuys mitunter üblich war. Wörtlich: „Ja, Ablehnung bin ich gewohnt. Da ich ein Hase bin, kann ich auch Haken schlagen!“ Unter Mitwirkung und Begleitung des WDR sollte dann das Kunst-Happening stattfinden, das diesen Tag Dorsten zu einem Kunst-Magneten auch über die Region hinaus gemacht hätte. Doch der damalige Kulturdezernent der Stadt Dorsten winkte ab, da die Dorstener Kunstszene kein unterstützendes Interesse zeigte und  keine Hand rührte, dem Beuys’schen Dorsten-Projekt in irgendeiner Weise näher zu treten. Der Kulturdezernent sah angeblich keine Möglichkeiten, den Marktplatz dem „Spinner“, wie er sagte, für diese Kunstaktion zur Verfügung zu stellen.

Die Enttäuschung der Betroffenen war groß

Beuys und die anderen Organisatoren waren enttäuscht. Kurz darauf gelang Beuys mit einer von der internationalen Kunstkritik bejubelten Ausstellung in New York der Durchbruch zur weltweiten Anerkennung seiner Kunst und Idee vom erweiterten Kunstbegriff. Die „Times“ titelte mit seinem Konterfei, was als „internationale Inthronisation“ gilt. Für Dorsten war die Chance verpasst. Beuys ließ sich nicht mehr bewegen, nach Dorsten zu kommen, obgleich er solchen Vorhaben in der Provinz landauf landab stets aufgeschlossen war. So blieb es bei einem Interview Stegemann mit Beuys in den Dorstener „Ruhr-Nachrichten“ Ende Februar 1983. Fünf Jahre später, Beuys war 1986 gestorben, entdeckte der Dorstener Kunstverein Beuys als eine „Rosine“ und lud zu einem Vortrag mit dem niederländischen Beuys-Kenner und Freund Hans van der Grinten (heute Beuys-Museum Schloss Moyland) ein. Die Dorstener Kunstinteressierten füllten das Forum des Bildungszentrums und diskutierten mit dem Referenten über Beuys und seinen Kunstbegriff. Zeit seines Lebens war der Beuys’sche Kunstbegriff mit Filz, Hut und Hase sowohl verachtet als auch von einer immer größer werdenden Kunstkennerschaft angenommen. Seit dem Tod des Künstlers bekamen er udn sein Lebenswerk eine international breite Wertschätzung.

 

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Anmerkung: Das Buch ist erhältlich bei Dieter Schröder in Bottrop, Preis auf Anfrage, Telefon 01702921001, Email: dieter.schroeder@db-gmbh.com. Das Porträtfoto Dieter Schröder (2. v. o.) stammt aus der Sammlung des Fotografen Carsten Sanders “Deutschland Deine Gesichter”, in der 1000 Deutsche gezeigt werden.
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6 Kommentare zu Zum hundertsten Geburtstag Joseph Beuys’ prächtiger Bildband des Künstlers Dieter Schröder mit Texten von Wolf Stegemann erschienen: „Jupp, wir vermissen dich!“

  1. Kunstbanause sagt:

    Ich rede mit, allerdings nicht denen nach dem Mund, denen eine simple Anfrage nicht passt und sofort die übliche Reaktion weckt: Häme, Arroganz, Nase rümpfen. Wie wäre es mit einer Erläuterung?

  2. Klaus Schakulat sagt:

    Ich erinnere mich noch gerne an die Aktion der Grünen 1979 in Marl, die an einem Haus an der Loestraße eine Atomsonne am Giebel malten und kurzerhand von Josep Beuys signieren ließen. Schwupp, war das Ganze nun ein Kunstwerk. Das Haus steht heute noch, aber der Giebel wurde verkleidet.

  3. Harry Hirsch. sagt:

    Hallo Kunstbanause! Wenn Sie nicht der wären, für den Sie sich hier ausgeben, dann wüssten Sie, dass Beuys weder vor seinem 100. in der Versenkung verschwand noch danach verschwinden wird. Im Übrigen hat Beuys einmal sinngemäß gesagt: Für das Verständnis meiner Werke gehört eine gehörige Portion Humor! Nun, Kunstbanause, versuchen Sie’s doch mal damit!

  4. Der Kunstbanause sollte sich den Bildband ansehen, dann kann er über Beuys mitreden ;-))

  5. Joerg Baumann sagt:

    Na ja, Kunstbanause, selten hat ein Name besser gepasst.

  6. Kunstbanause sagt:

    Mir sagt Beuys nichts, seine Kunst, was soll das sein? Gehypt wegen des Geburtstags, danach verschwindet er wieder in der Versenkung. Bisher konnte mir keiner diesen Künstler näher bringen. Auch dieser Artikel nicht.

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