Was wird aus dem Mercaden? Die Vermietung der leer stehenden Flächen kommt nicht voran. Und die Revitalisierung des „Marler Stern“ könnte das endgültige Scheitern des Dorstener Einkaufszentrums bedeuten

Das Mercaden im Eröffnungsjahr 2016

Von Helmut Frenzel

22. Oktober 1010. – Es ist bald fünf Jahre her, dass das neue Einkaufszentrum am Lippetor seine Pforten öffnete. Seither ist das Mercaden nicht aus dem Krisenmodus herausgekommen. Schon Ende 2017 musste der Projektentwickler Herbert Krämer das Center Management abgeben, das er seit der Eröffnung im März 2016 inne hatte. Der Investor, die Hessisch-Thüringische Landesbank, traute ihm nicht mehr zu, das Projekt zum Erfolg zu führen. Das Einkaufszentrum war schon mit erheblichen Leerständen gestartet. Wenige Monate später hatten die ersten Geschäfte das Handtuch geworfen und 2017 setzte der Exodus sich fort. Als Koprian iQ 2018 das Center Management übernahm, war die untere Ladenstraße von Leerständen geprägt und auch auf der oberen Ebene gab es Lücken. Der Wechsel zu Koprian war zweifellos von der Erwartung getragen, dass das neue Center Management das Problem lösen und das Mercaden zum Erfolg führen werde. Koprian ließ sich ein Jahr Zeit für die Ausarbeitung eines Maßnahmenplans zur baulichen und gestalterischen Aufwertung der „Mall“. Dafür machte Koprian noch einmal sechs Millionen Euro beim Investor locker. Bei der Vorstellung der Maßnahmen im März 2019 sagte Helmut Koprian, die geplanten baulichen Veränderungen würden die Aufenthaltsqualität wesentlich verbessern und warnte zugleich: er könne nicht garantieren, dass damit das Problem mit den Leerständen erledigt sei. Mit beidem hat er recht behalten.

Die Vermietung der Leerstände kommt nicht voran

In den drei Jahren, seit Koprian das Steuer übernommen hat, konnte nicht ein einziger Mieter neu gewonnen werden. Das Problem, das Herbert Krämer nicht lösen konnte, hat auch Koprian nicht gelöst. Damit stellt sich die Frage, ob das Mercaden überhaupt noch in die Erfolgsspur geführt werden kann. Von den immer wiederholten Ankündigungen, man sei in vielversprechenden Verhandlungen mit Interessenten, aber man werde Namen erst nennen, wenn Mietverträge unterschrieben seien, darf man sich nicht täuschen lassen. Diese Art von Verlautbarungen kennt man schon vom Projektentwickler Herbert Krämer. Sie dienen dazu, die Öffentlichkeit bei Laune zu halten. So ist es jetzt auch. Alles andere wäre das Eingeständnis, dass das Center-Projekt endgültig gescheitert ist. Wie dünn das Eis ist, auf dem das Projekt steht, zeigte sich bei der kürzlichen Inbetriebnahme des Brunnens auf der unteren Ladenstraße. Da wurde dieser letzte Schritt als weiterer Meilenstein auf dem Weg zu einer besucherfreundlicheren Gestaltung gefeiert. Ein paar Meter weiter blickten die Anwesenden auf Plakate im Schaufenster nebenan, die anzeigten, dass das seit der Eröffnung dort ansässige Modegeschäft demnächst schließt (Foto). Der Zeitpunkt für diese Negativwerbung konnte nicht schlechter gewählt sein. Wenn es nicht gelingt, noch im November, vor dem Beginn des Weihnachtsgeschäfts, einen namhaften Einzelhändler auf einer größeren Fläche anzusiedeln, dann ist bis weit in das nächste Jahr hinein nicht mit Fortschritten bei der Vermietung zu rechnen. Und dann wird sich die Frage, was aus dem Mercaden wird, umso drängender stellen.

Der Boom neuer Einkaufszentren ist zu Ende

Die Rahmenbedingungen für einen Erfolg des Mercaden verschlechtern sich derweil immer mehr. Seit Beginn der 2000er Jahre befindet sich der stationäre Einzelhandel in einem Strukturwandel. Die Zahl der Unternehmen im Einzelhandel sank zwischen 2002 und 2018 um 80 000 auf 338 000. Das ist ein Rückgang um ein Fünftel. Gleichzeitig erhöhte sich die Zahl der Einkaufszentren mit mehr als 10 000 Quadratmetern Verkaufsfläche deutschlandweit von 2000 bis 2019 um 75 Prozent von 279 auf 489, eine Zunahme um 210. Anfangs ging diese Entwicklung zu Lasten des klassischen Einzelhandels in den Innenstädten, während die Einkaufszentren boomten. Doch der Boom läuft seit 2010 aus. Offenbar sind die lukrativen Standorte alle besetzt. 2016, im Jahr der Eröffnung des Mercaden, betrug die Zahl der Neuzugänge gerade mal drei, im Folgejahr null. Erst 2019 gab es wieder sechs Neueröffnungen, davor waren es vier.

Filialketten im Bereich Fashion auf dem Rückzug

Seit einigen Jahren stehen nun auch die Einkaufszentren unter Druck. Das hat mit dem Vordringen des Online-Handels zu tun. Im Jahr 2000 bei null gestartet, werden für 2020 die Umsätze des Online-Handels auf 63 Milliarden Euro geschätzt. Das entspricht einem Anteil von knapp 11 Prozent am Einzelhandelsumsatz insgesamt. Die Online-Umsätze steigen jährlich um 4 bis 5 Milliarden Euro, der Marktanteil am gesamten Einzelhandelsumsatz um jeweils knapp ein Prozent. Mit jedem Jahr steigt der Druck auf den stationären Einzelhandel und zwar auf den klassischen innerstädtischen Einzelhandel und die Einkaufszentren gleichermaßen. Möglicherweise sind die Einkaufszentren sogar stärker betroffen und das hat einen Grund: Die höchsten Online-Anteile nach Branchen entfallen auf Consumer Electronics/Elektro mit 34 Prozent und auf Mode/Bekleidung mit 30 Prozent. Das sind neben den Lebensmittel-Vollsortimentern und dem Bereich Drogerie ausgerechnet zwei der tragenden Säulen, auf denen die meisten Einkaufszentren aufgebaut sind. Ohne die zahlreichen Modegeschäfte kommt kein Einkaufszentrum aus. Doch sie sind mit am stärksten vom Online-Handel bedroht. Viele der Mode-Filialisten sind aktuell damit beschäftigt, sich unter dem Diktat sinkender Umsätze zu restrukturieren und dazu gehört die Schließung der ertragsschwachen Filialen. Ihre Neigung, neue Filialen zu eröffnen, dürfte nicht besonders ausgeprägt sein – besonders nicht in Einkaufszentren, die selbst um das Überleben ringen. Die Corona-Pandemie und die damit zusammenhängenden Einschränkungen verschärfen die Lage im Einzelhandel. Sie sind aber nicht die Ursache der krisenhaften Entwicklung bei einzelnen Handelsunternehmen, darüber sind sich die Fachleute einig. Auch wenn die Corona-Pandemie eines Tages vorbei ist, bleiben die strukturellen Probleme, die es auch schon vor Corona gab (Foto: Hansa Center in Bottrop).

Was hat das alles mit dem Dorstener Mercaden zu tun? Die beschriebenen Rahmenbedingungen geben wenig  Zuversicht, dass es gelingen wird, die leer stehenden Verkaufsflächen mit Geschäften aus dem Bereich des Einzelhandels zu füllen, so wie es das Center-Konzept vorsieht. Aus welchen Branchen sollten die Betriebe kommen? Computer/Elektro fällt aus, denn es gibt mit dem MediaMarkt schon einen großen Anbieter in Dorsten. Dasselbe gilt für den Bereich Buchhandel. Im Bereich Bekleidung/Mode haben die großen Filialisten gerade andere Sorgen. Vielleicht noch einen Lebensmittel-Discounter, zum Beispiel Aldi? Aus welchen Branchen sollen die Unternehmen kommen, die demnächst die leerstehenden Verkaufsflächen füllen?

Outlet Center im „Marler Stern’“ schafft neue Lage

Neben den allgemein ungünstigen Rahmenbedingungen kommt auf das Mercaden Dorsten noch eine Herausforderung ganz anderen Kalibers zu. Die Rede ist von der aktuell laufenden Revitalisierung des „Marler Stern“ (Fotos). 1974 eröffnet, war es mit einer Verkaufsfläche von 58 000 Quadratmetern und 130 Geschäften eines der größten Shoppingcenter in Nordrhein-Westfalen. Das nur wenige Kilometer von Dorsten entfernte Einkaufsparadies wurde auch von den Dorstenern gerne besucht. Als 2009 Karstadt, der mit Abstand größte Mieter, den Standort räumte und die riesige Verkaufsfläche fortan leer stand, beschleunigte sich der Niedergang und es mehrten sich die Leerstände. Zuletzt stand die obere Ladenstraße nahezu komplett leer. 2018 erwarb die FAKT AG mit Sitz in Essen die Mehrheit des „Marler Stern“. Vorstandsvorsitzender ist Hubert Schulte-Kemper, zugleich Ehrenbürger der Stadt Marl. Die Unternehmensgruppe will nach eigenen Angaben 25 Millionen Euro in die Revitalisierung des Einkaufszentrums investieren, andere Quellen sprechen von 50 Millionen. Im September 2019 wurde ein sanierter Teilbereich auf der unteren Ebene eröffnet. Ein wichtiger Bestandteil des Revitalisierungskonzepts ist die Ansiedlung eines Outlet Centers auf der oberen Ebene mit bis zu 80 Geschäften, die hier Outlet Stores heißen. Geplant ist ein Mix aus Mode, Lifestyle, Spielwaren, Geschenkartikeln, Süßwaren und Handwerkerbedarf. Ein erster Bauabschnitt wurde im September 2020 eröffnet. Die Fertigstellung des Outlet Centers ist für Mitte 2021 geplant. Die Stores verkaufen ausschließlich Markenware mit hohen Preisnachlässen aus Überbeständen der Markenhersteller, unverkaufte Ware der Vorsaison und Rückläufer aus den eigenen Läden der Hersteller. Die Umsetzung dieses Projekts hat die „Outlet Evolution Services GmbH“ übernommen, ein auf die Entwicklung von Outlet Centern spezialisiertes Unternehmen. Unter dem Namen „Marlet“ soll im „Marler Stern“ auf 15 000 Quadratmetern das größte Outlet Center in Nordrhein-Westfalen entstehen – „und das attraktivste“.

Outlet Center haben wegen des breiten Angebots an Markenartikeln zu sehr niedrigen Preisen eine hohe Attraktivität und erfreuen sich großer Beliebtheit. Sie bedienen ein dementsprechend großes Einzugsgebiet. Zu diesem zählt auch Dorsten. Es besteht kaum ein Zweifel, dass der Einzelhandel im Einzugsgebiet die Auswirkungen in Form von Umsatzeinbußen zu spüren bekommt. Dabei fällt auf, dass die Nachbarstädte von Marl das Thema bisher nicht aufgegriffen haben. Eine Ausnahme ist Gelsenkirchen. Dort sieht man das „Marlet“ skeptisch. Die CDU im Gelsenkirchener Stadtrat befürchtet einen Kaufkraftabfluss. Der Sprecher der CDU-Fraktion im  Wirtschaftsförderungsausschuss sagte dazu: „Uns fehlt die Fantasie, dass die Eröffnung im Herbst keine Auswirkungen auf das Kaufverhalten der Gelsenkirchener und Gelsenkirchenerinnen, insbesondere derjenigen aus Buer, haben wird. Dafür ist die Entfernung einfach zu gering.“ (WAZ vom 29. Jan. 2020). Für Dorsten könnte das Outlet Center dazu führen, dass die Ansiedlung neuer Geschäfte im Mercaden auf Jahre hinaus kaum noch möglich sein wird.

Im Umkreis von Dorsten entstehen 25 000 qm neue Verkaufsflächen

Am Rande und um der Vollständigkeit willen seien noch zwei weitere Projekte im  Umkreis von Dorsten genannt. In Herten steht das „Neue Forum Herten“ kurz vor dem Baubeginn. Die ursprüngliche Verkaufsfläche wurde von 13 600 auf 7 150 Quadratmeter reduziert bei entsprechender Verringerung der Zahl der Shops. Weitere 6 400 Quadratmeter in dem mehrgeschossigen Gebäude sind für Dienstleistungen, Gastronomie, Sport/Fitness, Büro- und Verwaltungsräume und Praxen vorgesehen. In Bottrop scheint die Revitalisierung des „Hansa Center“ auf der Zielgeraden. Die FAKT AG, die schon die Revitalisierung des „Marler Stern“ betreibt, erwarb Ende 2019 die vom mehrjährigen Verfall gezeichnete Ruine des „Hansa Center“ in Bottrop. Das Unternehmen will 25 Millionen Euro in die Hand nehmen und auf 18 400 Quadratmetern ein Einkaufszentrum wiedererstehen lassen. Weitere 2 300 Quadratmeter sind für Büros und Praxen verplant. Auch von einem Kino und einem Hotel ist die Rede. Ziel ist es, „ein helles und modernes Einkaufszentrum zu schaffen, das täglich mehrere tausend Besucher aus ganz NRW anlockt.“ Die Fertigstellung ist für Ende 2021 vorgesehen.

Ein Plan B für das Mercaden

In Dorsten werden Rat und Verwaltung sich an den Gedanken gewöhnen müssen, dass das Mercaden auf der Grundlage des bisherigen Nutzungskonzepts mit seiner Fokussierung auf den Einzelhandel nicht auf die Beine kommt. Andererseits kann sich die Stadt ein erneutes Scheitern der Immobilie an seinem prominenten Standort am Lippetor nicht erlauben. Ein Plan B muss her. Um neue Spielräume zu schaffen, muss die Fokussierung auf den Einzelhandel aufgegeben werden, wie es andere Einkaufszentren schon vorgemacht haben. Die leerstehenden Verkaufsflächen können in Büroflächen und Flächen für Dienstleister und andere umgewidmet werden. Dann bleibt allerdings die Frage, wer die Büroflächen nutzen soll. Hier hat die Stadt die Möglichkeit, einen Beitrag zu leisten, über den sie autonom entscheiden kann und nicht von Dritten abhängig ist. Sie könnte städtische Abteilungen mit hoher Kundenfrequenz in das Mercaden verlagern. Dafür kommen das Bürgerbüro, die Stadtbibliothek und die Arbeitsagentur in Frage und möglicherweise weitere Abteilungen. Die genannten Abteilungen sind ohnehin im Stadtzentrum besser aufgehoben als im entlegenen Rathaus. In der unteren Ebene des Mercaden stehen ausreichend große Flächen zur Verfügung und Parkplätze sind auch vorhanden. Die Anbindung dieser Abteilungen an die Datenverarbeitung im Rathaus ist heutzutage ohne Probleme darzustellen. Diese Maßnahme würde sofort eine Stabilisierung des Mercaden bewirken. Andere Bürobetriebe oder Dienstleister könnten sich angezogen fühlen, möglicherweise auch der ein oder andere Einzelhändler. Und wenn alles gut läuft, würde eine Grundlage für mehr Gastronomie entstehen.

Für solche Überlegungen spricht ein weiterer Aspekt. Rat und Verwaltung favorisieren einen Rathausneubau. Wer will in Zeiten, in denen mehr und mehr im Home Office gearbeitet wird, noch den Flächenbedarf für einen Büro-Neubau festlegen? Die Entscheidung für den Neubau muss ohnehin unter den heutigen veränderten Bedingungen überprüft werden. In diesem Zusammenhang könnten die oben skizzierten Überlegungen eine Rolle spielen.

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