Braucht Dorsten wirklich einen Zusatznamen wie „an der Lippe“? Eher nicht! Denn es gibt kaum einen stadtbezogenen Begriff, der ein Alleinvertretungsmerkmal erfüllen würde

Sollte hier noch “an der Lippe” drauftehen? Foto: Stegemann

Von Wolf Stegemann

18. Juli 2019 – Mit dem Antrag der SPD, die Stadt möge in ihrem Namen „Dorsten“ den Zusatz „an der Lippe“ führen, mag sich der Bürger fragen, warum eigentlich. Denn einen Ort wie Dorsten gibt es schließlich nur einmal in Europa und vielleicht auch in der ganzen Welt. Daher braucht man kein Unterscheidungsmerkmal anführen wie Städte, von denen es mehrere gleichen Namens gibt wie beispielsweise Rothenburg, wovon die bekannteste Stadt dieses Namens „Rothenburg ob der Tauber“ heißt. Dann könnte man einen Zusatz auch als Werbung für die Stadt nutzen. Haltern macht das mit „Haltern am See“. Das klingt einladend. Die Stadt muss dann auch durch das Ambiente am See einladend sein. Und Dorsten an der Lippe? Ist die Lippe für das gesamte Stadtbild einladend? Eher nicht. Seit etlichen Jahrzehnten versuchte die Stadtverwaltung, dann der Rat, dann wieder die Wirtschaftsförderung, dann wieder ein Beigeordneter aus der Lage der Stadt an der Lippe und am Kanal, den Begriff „Dorsten am Wasser“ irgendwie mit Projekten, Cafés, besucherfreundlichen Zugängen und weiteren Aktionen zu prägen. Dies gelang bis heute nicht, weder der Verwaltung noch den Politikern. Wer die letzten 40 Jahre Beobachter dieses Schauspiels war, der wunderte sich oft über das Hin und Her, was in den Medien auch als „Herumgeeiere“  genannt wurde. Die Verantwortlichen taten gerade das Gegenteilige von dem, was in den offiziellen Flyern und über die Medien propagierte wurde. Zuletzt mit dem Kolossalbau „Mercaden“, mit dem der Zugang zur Lippe, entgegen anfänglichen Zusagen, „zugemauert“ wurde.

Dorsten „an der Lippe“ – kein entscheidendes Merkmal mehr

Und jetzt kommt wieder aus dem Rathaus, diesmal von der SPD-Fraktion, der Vorschlag, aus dem schlichten Dorsten die Stadt „an der Lippe“ zu machen, rein theoretisch, wie man sagen kann. Denn an der Lippe tut sich nach wie vor nichts. Wie oben schon angeführt, in der Nachbarschaft gibt es die Stadt Haltern, die sich „am See“ nennt. Dort findet am See wirkliches Leben statt. An der Lippe in Dorsten aber nicht. Außer einer Fähre in Holsterhausen namens „Baldur“, die ein Brücke ersetzt. Also nichts, was den Zusatznamen verdienen würde, außer Spaziergänger, die man hin und wieder mit ihren Hunden an der Lippe sieht, auch Angler. Zudem liegen die in sich geschlossenen heutigen Stadtteile und früheren selbstständigen Gemeinden Wulfen, Lembeck, Deuten, Rhade und Altendorf-Ulfkotte von der Lippe weit entfernt.

Früher machte die Lippe die Stadt wohlhabend

Allerdings hat die Lippe einen hochinteressanten historischen Aspekt. Sie machte früher – ganz viel früher – die Stadt und einige Familien wohlhabend. Der Handelsverkehr auf der Lippe brachte den Schiffbauern Brot und der Stadt Steuern. Die Brücke brachte noch Zolleinnahmen, denn die andere Seite der Lippe gehörte zum Bistum Münster, die hiesige zum Erzbistum Köln. Die historische alte Poststraße führte hier über die Lippe, wovon die Wirtschaften und die Familien der Pferdeposthalterei am Markt lebten und Brückengeld den Stadtsäckel füllte. Wer von Paris nach Berlin oder von Düsseldorf ins Münsterland wollte, überquerte hier die Lippe, wie Adelige aus Frankreich auch, die von der Französischen Revolution vertrieben wurden. Als Goethe von Frankreich nach Münster fuhr, saß er am 6. Dezember 1792 auf dem Dorstener Marktplatz, weil seine Kutsche geschmiert und seine Pferde gewechselt werden mussten. Die Straße „Alter Postweg“ erinnert an den historischen Postweg, der allerdings anders verlief, als die heutige Straße, an der das Amtsgericht liegt. Foto links: Die Lippe heute bei Holsterhausen.

„Hansestadt Dorsten“ wäre wohl stark übertrieben

Soll man denn wirklich aus dieser längst vergangen Welt, die heute nur noch durch ein kleines Flüsschen, das zudem mehrmals verlegt wurde, ein besonderes Merkmal „an der Lippe“  liegend in den offiziellen Ortsnamen anführen?
Ein anderer Vorschlag lautet „Hansestadt Dorsten“. Das wäre eine unschöne Übertreibung im Vergleich mit den Hansestädten Rostock, Bremen, Lübeck und Hamburg (Autokennzeichen: HH für Hansestadt Hamburg). Dorsten war gemessen an diesen Städten nur ein kleiner unbedeutender Handelsort und dem mittelalterlichen Hanseverbund Dortmund untergeordnet. Vielleicht wäre es die beste Lösung, wenn es bei „Dorsten“ bliebe, so, wie die Stadt immer hieß.

Dorsten mit der Lippe im 17. Jahrhundert

Durstensis, Dürsten, Dörsten – Dorsten ist einmalig in der Welt

Bleiben wir beim Namen „Dorsten“. Wörtlich genommen ist Dorsten auch ohne Zusatz einmalig in der Welt. Während es auf den Landkarten den heutigen Dorstener Ortsteil Altendorf siebzehnmal gibt, die nahe Bezirksstadt Münster achtzehnmal, findet man Dorsten nur einmal. Die Jahrhunderte sind über Dorsten hinweggegangen und haben die vielen Wichtigkeiten und Unwichtigkeiten des urbanen Lebens hinweggefegt. Der Name Dorsten geht auf die Form „Durstina“ und nicht auf Durstinon zurück, obgleich die Stadt topografisch im Bereich des Ortsnamens Durstinon entstand. Die Stadtgründungsurkunde besitzt die endungsabgeschwächte Form Durstine. Diese Unterschiede beispielsweise zwischen Dorsten und Haltern sind charakteristisch, denn Halathra blieb als Ort erhalten, Durstinon aber ist in unbekannter Zeit in die Stadt aufgegangen. Durstina war die Bezeichnung einer Gruppensiedlung nördlich der Lippe mit etwa sechs Höfen, die auf dem Kleinen und Großen Hohefeld lag. Im Spätmittelalter wurde die Bauerschaft Durstina vermutlich im Zusammenhang mit der Kirchgründung und Stadtbildung wüst, allerdings nicht total, weil das Hohefeld weiterhin vom Süden aus bewirtschaftet wurde und wegen der Namensfolge „Dorsten“ noch vor der Stadtwerdung 1251 auf das Südufer verlegt wurde. Der Name „Durstinon“ bezeichnet eine Einzelhofsiedlung südlich der Lippe, die sich seit etwa dem Jahre 500 in den Niederungen des Schölzbachs und des Rapphofs Mühlenbachs (bis Altendorf) ausgedehnt hatte, unter ihnen der adelige Hof und spätere Xantener Oberhof Dorsten. Die Anzahl der Siedlungseinheiten sind nur schwer anzugeben, da der Name Dorsten einen gänzlich anderen Geltungsbereich hatte. Unter dem Namen Dorsten gehörten im 9. Jahrhundert noch Teile von Altendorf-Ulfkotte dazu und im 14. Jahrhundert die Hardt, da der Hof „Schulte ter Hart“ unter Dorsten aufgeführt wird. Später hat sich der Ortsname den jüngeren Verwaltungsräumen angepasst. Foto: Die Lippe Nähe Crawleystraße bei Hochwasser in den 1960er-Jahren. Heute geschützte durch einen Damm

Der Name stammt nicht vom Stein des Gottes Thor ab, wie einst behauptet

Was der Name Dorsten bedeutet, ist nicht bekannt. Ob er von Thor-Stein (Stadt am Thor-Stein) abgeleitet werden kann, wie es Ende des 19. Jahrhunderts Heimatforscher behaupteten, darf als überschwängliche Germanisierung bezweifelt werden, auch wenn sich der männliche Vorname Thorsten auf Thor bezieht. Gegen diese mythologische Namensdeutung sprechen zum einen der Göttername Thor selbst, denn er ist die nordgermanische Form für Donnergott, und zum andern, dass Germanen ihre Götter in Hainen verehrten. Dennoch hat sich diese Thor-Abstammungslegende gehalten: Zum 650. Stadtjubiläum durfte die Festdichterin Johanna Baltz 1901 von der Stadt am Thor-Stein (Foto links “Dorsten am Donarstein”) schwärmen und in nationalsozialistischer Zeit hörte man solche Deutungen wieder gern, auch wenn sie nicht zu belegen waren. In der ältesten Form des Stadtnamens „Durstina“ sind die westgermanischen Wörter „durch“ sowie sti = Stelle und a = Wasser enthalten. Durstina bedeutet also „Wasserdurchgangsstelle“. In frühen Urkunden findet sich die Bezeichnung „Dürsteln“ und in späteren „Dürsten“. Selbst das älteste für den täglichen Gebrauch in Amtssachen dienende Siegel führte die Umschrift: Sigillum majus civitatis Durstensis. Dann wurde aus „Dürsten“ „Dörsten“ und seit Anfang des 19. Jahrhunderts „Dorsten“.

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Ein Kommentar zu Braucht Dorsten wirklich einen Zusatznamen wie „an der Lippe“? Eher nicht! Denn es gibt kaum einen stadtbezogenen Begriff, der ein Alleinvertretungsmerkmal erfüllen würde

  1. M. Köster sagt:

    Sollte dieser Vorschlag in die Tat umgesetzt werden, so wäre es das einzig Schöne an dieser seltsamen Stadt, die über Jahrzehnte eifrig daran arbeitete, alles Einmalige zu zerstören. Als es in der Stadt nichts mehr gab, mussten die armen zwangseingemeindeten schönen Dörfer daran glauben.

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