Katastrophale Haushaltslage gab den Anstoß zur Erhöhung der Straßenbaubeiträge. Die Frage der Gerechtigkeit spielte keine Rolle. Blick zurück in das Jahr 2010

Von Helmut Frenzel

4. April 2019. – Die Höhe der Straßenbaubeiträge, die Anlieger bei der Erneuerung ihrer Straße an die Stadt zahlen müssen, hängt von zwei Komponenten ab. Da sind zunächst die Kosten der Maßnahme. Hier spielen zahlreiche Einflussfaktoren eine Rolle: das Baugesetzbuch, in dem Ausbaustandards geregelt sind, dann die einzelnen Bestandteile wie Fahrbahn, Gehweg, Radweg, Parkplätze, Beleuchtung und nicht zuletzt die daraus resultierenden Baukosten. Diese Faktoren sind kaum beeinflussbar. Die zweite Komponente allerdings ist der Anteil der Baukosten, den die Stadt den Anliegern aufbürdet. Diesen Anteil legt die Stadt in eigener Verantwortung fest. Die daraus resultierenden Zahlungsverpflichtungen haben eine Höhe erreicht, die von den Anliegern nicht mehr akzeptiert wird und sie dagegen rebellieren lässt. Das mag mit zwei Entwicklungen zusammenhängen: infolge der guten Baukonjunktur sind die Baukosten in den letzten Jahren sehr viel stärker als der Lebenshaltungskostenindex gestiegen und gleichzeitig hat die Stadt Dorsten die Anliegeranteile massiv erhöht. Jetzt geht es um die Frage, wie gerecht die Anliegerbeiträge sind.

Diskussion über die Rolle von Rat und Verwaltung unerwünscht

In der Informationsveranstaltung in der vergangenen Woche gab sich Bürgermeister Tobias Stockhoff viel Mühe, diesen Aspekt auszuklammern. Die Frage der Gerechtigkeit schob er dem Land zu, das mit dem Kommunalabgabengesetz (KAG) die Grundlage für die Erhebung von Straßenbaubeiträgen geschaffen hat. Die Bürger sollten sich an die Landtagsabgeordneten wenden; sie seien zuständig. Es war unmissverständlich klar, dass der Bürgermeister eine Diskussion über die in der einschlägigen Dorstener Satzung festgelegten Baukostenanteile, die die Grundstückseigentümer zu tragen haben, auf keinen Fall führen wollte. Dabei sind ihm die Umstände bestens bekannt, die den Weg zu den heutigen hohen Anteilen zu Lasten der Bürger bereitet haben. Er selbst war früher als Mitglied des Haupt- und Finanzausschusses des Rates und später als Bürgermeister unmittelbar an den Entscheidungen beteiligt, hat sie mitgetragen und ist für den erreichten hohen Stand der Anliegeranteile mitverantwortlich. Sein bisheriges Verhalten spricht nicht dafür, dass er sich zu dieser Mitverantwortung bekennt. Das Land ist an allem schuld. In der erhitzten Diskussion fiel das Wort Stärkungspaktgesetz; doch dies ging in der allgemeinen Erregung unter. Dabei liegt hier der Schlüssel für die hohen Anliegeranteile: Die Erhöhungen waren nicht in der Sache selbst begründet, etwa weil die Nutzung der Straße durch die anliegenden Grundstückseigentümer stark gestiegen wäre. Es ging und es geht alleine um Haushaltssanierung.

Katastrophale Haushaltsentwicklung verlangt nach Gegenmaßnahmen

Um die Zusammenhänge zu verstehen, lohnt der Blick zurück in das Jahr 2010 und die damalige Haushaltslage. Seit 1993 hatte Dorsten keinen ausgeglichenen Haushalt mehr. Seither erstellte die Stadt jährlich zusammen mit dem Haushalt ein Haushaltssicherungskonzept. Diese Haushaltssicherungskonzepte waren seit 2002 nicht mehr genehmigt worden, weil die Rückkehr zu einem ausgeglichenen Haushalt nicht belegt werden konnte. Seither galt das Nothaushaltsrecht, das der Kommunalaufsicht besondere Eingriffsrechte in die Haushaltsführung gab. Seit 2003 hatte die Stadt in ihrem Verwaltungshaushalt Defizite von 105 Millionen Euro angehäuft. Der Jahresverlust 2009 hatte 15 Millionen Euro betragen. Dann kam 2010. Der Haushaltsplan für dieses Jahr schloss ab mit einem Defizit in der geradezu verheerenden Höhe von 38 Millionen Euro. Im Hinblick auf den damit verbundenen immensen Eigenkapitalverzehr galten nun verschärfte Anforderungen im Hinblick auf Maßnahmen zur Haushaltssicherung. Der Ausblick auf die kommenden Jahre mit ähnlich hohen Fehlbeträgen trug zu der Einsicht bei, dass die Haushaltslage der Stadt brisant war. Aber auch unabhängig von dieser Erkenntnis war jetzt nach den vom Innenministerium herausgegebenen Regeln die Aufstellung eines neuen Haushaltssicherungskonzepts notwendig, das zwangsläufig über die zuvor schon realisierten oder eingeleiteten Maßnahmen zur Kostensenkung und Einnahmenerhöhung deutlich hinausgehen musste.

Verschärfte Anforderungen an das Haushhaltssicherungskonzept

Den Weg dazu wies der Erlass des Innenministeriums vom 6. März 2009 „Maßnahmen und Verfahren zur Haushaltssicherung“. Er enthält einige bemerkenswerte Vorgaben. Hier Auszüge:

„Zu den Erfolgsfaktoren eines HSK [Haushaltssicherungskonzepts, d. Verf.] gehört, dass die Gemeinde ihre Möglichkeiten zur Erzielung von ordentlichen Erträgen ausschöpft…
Weiter sind die Gemeinden durch diese Norm gehalten, ihre Ertragsquellen vorrangig dadurch zu erschließen, dass sie von denjenigen Bürgern, die bestimmte kommunale Leistungen in Anspruch nehmen, angemessene Kostenbeteiligungen in Gestalt spezieller Entgelte verlangen. Die Erhebung von Steuern ist demgegenüber nachrangig…
Das OVG NRW hat in ständiger Rechtsprechung den Grundsatz entwickelt, dass Gemeinden mit defizitärer Haushaltslage in besonderer Weise gehalten sind, Einnahmemöglichkeiten zu realisieren.“
(Quelle: Haushaltsplan 2010).

Um diese Auflagen zu erfüllen, erweiterte die Verwaltung den Haushaltsplan 2010 um ein Haushaltssicherungskonzept. Diesem wurde ein Dokument mit dem Titel „ ERGÄNZUNG des Maßnahmekataloges zur Haushaltssicherung“ hinzugefügt. Die Liste enthält 75 Einzelpositionen, darunter mit der laufenden Nummer 66-2 die folgende:

„Die von den Beitragspflichtigen aufzubringenden Straßenbau-/Wegebeiträge aufgrund §§ 8,9 KAG NW sind unter Berücksichtigung der Festsetzungen in vergleichbaren Städten zu überarbeiten.“

Die Maßnahme war versehen mit dem Vermerk „Sparvolumen offen“.

Anhebung der Anliegerbeiträge zur Stabilisierung des Haushalts

Was mit „überarbeiten“ gemeint war, war klar. In seiner Sitzung im Dezember 2010 lag dem Bauausschuss eine Beschlussvorlage vor. Die Verwaltung legte dar, dass nach ihren Recherchen eine Reihe von Kommunen eine Anhebung der Anliegeranteile auf bis zu 80 Prozent beschlossen hätten. Sie lägen damit deutlich über den in Dorsten geltenden Sätzen, die noch aus dem Jahr 1995 stammten. Die Anhebung der Anliegeranteile sei auch durch eine Mustersatzung des Städte- und Gemeindebundes NRW ausgelöst worden. Diese sei zusammen mit dem Innenministerium des Landes erarbeitet und zuletzt 2003 aktualisiert worden. Sie enthalte Spannbreiten für die Anliegeranteile mit Obergrenzen, die bis zu 80 Prozent reichten und damit einen beträchtlichen Spielraum für Anhebungen eröffneten. Daran knüpfte die Verwaltung ihren Vorschlag für die Erhöhung der Anliegeranteile, die nach eigenem Eingeständnis überwiegend an den Obergrenzen der erwähnten Spannbreiten lagen und für die zahlungspflichtigen Anlieger eine deftige Steigerung der Beiträge bedeuteten.

Ratsparteien blockieren die Anhebung auf das höchstmögliche Niveau

Aber der Plan der Verwaltung ging nicht auf. Die Ratsfraktionen Die Grünen, FDP und Linke waren gänzlich gegen eine Erhöhung der Anliegeranteile. Die SPD brachte vor, dass die Meinungsbildung in der Partei nicht abgeschlossen sei und sie sich der Stimme enthalten wolle. Alleine die CDU unterstützte den Vorschlag der Verwaltung, „aus Verantwortung gegenüber der nächsten Generation“. Der Bauausschuss entschied, keinen Beschluss zu fassen. In der Sitzung des Rates, die kurz darauf stattfand, legte die Verwaltung einen neuen Vorschlag vor, in dem die Anhebungen der Anliegeranteile in etwa halbiert waren. Der Vorschlag wurde mit großer Mehrheit angenommen bei vier Gegenstimmen. Die erhöhten Anliegeranteile galten mit Beginn des Jahres 2011.
In der letzten Sitzung des Rates im Dezember 2015 wurde die in 2010 ausgelassene Anhaebung der Anliegeranteile mit Wirkung ab 2016 nachgeholt und diese auf das heute bestehende Niveau gebracht. Unterschrieben ist der Beschlussvorschlag von Bürgermeister Tobias Stockhoff. Der Vorschlag wurde einstimmig angenommen.

Währungsverluste machen alle Sanierungsanstrengungen zunichte

Für das Haushaltsergebnis 2010 haben die Sanierungsanstrengungen übrigens nichts mehr gebracht. Der im Haushaltsentwurf ausgewiesene Fehlbetrag von 38 Millionen Euro erhöhte sich im Jahresabschluss auf 40 Millionen. Darin enthalten war ein Währungsverlust von 13,4 Millionen Euro, den die Stadt mit ihren Schweizer-Franken-Krediten erlitten hatte (inzwischen sind es mehr als 40 Millionen Euro). Für diese Verluste und noch weitere in den folgenden Jahren zahlen seither die Bürger dieser Stadt – auch mit den Straßenanliegerbeiträgen.

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