Kommunale Spekulationsverluste: Ex-Bürgermeisterin von Pforzheim wegen Untreue zu Haftstrafen verurteilt. Wenn das Urteil Bestand hat, könnte es auch für ehemalige Dorstener Amtsträger ungemütlich werden

Von Helmut Frenzel

27. November 2017. – Es ist ein Dammbruch. Am 21. November 2017 verkündete der Vorsitzende Richter der großen Strafkammer am Landgericht Mannheim in einem Prozess gegen die Ex-Bürgermeisterin und die ehemalige Kämmerin der Stadt Pforzheim das Urteil: Wegen Untreue in drei Fällen erhielten die Ex-Bürgermeisterin eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten und die Kämmerin unter Berücksichtigung weiterer Fälle eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Für beide Personen wurden die Haftstrafen zur Bewährung ausgesetzt. Und das war passiert: Die Stadt Pforzheim hatte 2005 und 2006 Swapgeschäfte getätigt, die zu Verlusten von 57 Millionen Euro führten. Durch Verhandlungen mit den beteiligten Banken konnten die Verluste auf 13 Millionen Euro begrenzt werden.
Unzählige Gemeinden haben seit Anfang der 2000er Jahre Spekulationsgeschäfte abgeschlossen, vorgeblich um ihre unter den wachsenden Schulden ächzenden Haushalte zu entlasten. Dabei handelt es sich um Zinsderivate in Gestalt von hochriskanten Swapgeschäften, im Volksmund auch als Zinswetten bezeichnet. Herausgekommen sind dabei hohe Verluste für die Gemeinden – auch in Dorsten. Während es zahlreiche Zivilverfahren gibt, in denen die geschädigten Städte, überwiegend erfolgreich, Schadenersatz von den beteiligten Banken erstritten und so ihre Verluste zumindest minderten, ist die mögliche strafrechtliche Dimension der kommunalen Spekulationsgeschäfte bisher nicht in einem einzigen Fall aufgearbeitet worden. Das hat sich jetzt geändert.

Den städtischen Haushalt mit hochriskanten Zinswetten entlasten

Im Falle Pforzheim stufte das Landgericht Mannheim drei Finanzgeschäfte als unerlaubte Spekulationsgeschäfte ein und bewertete sie als “gravierende, klare, evidente Pflichtverstöße” der beiden Angeklagten. Diese beriefen sich darauf, sie hätten uneigennützig und nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Sie seien Opfer “intransparenter Geschäfte vertrauenswürdiger Banker” geworden. Das ließ das Gericht nicht gelten. In der Absicht, den städtischen Haushalt mit hochriskanten Zinswetten zu entlasten, habe man sich gründlich verspekuliert. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft den Angeklagten vorgeworfen, sie hätten immer wieder versucht, drohende Verluste mit dem Kauf weiterer Derivate auszugleichen. Ihnen seien die hohen finanziellen Risiken, die sie der Stadt aufbürdeten, bekannt gewesen. Dagegen hatten die Verteidiger auf Freispruch plädiert. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die schriftliche Urteilsbegründung liegt noch nicht vor. Die Verteidiger haben angekündigt, in Revision beim Bundesgerichtshof zu gehen.

In NRW Generalabsolution für die Verantwortlichen?

Der Vorsitzende Richter nannte es “misslich”, dass sich ausgerechnet die beiden Angeklagten aus Pforzheim vor Gericht verantworten müssten, denn viele andere Gemeinden hätten ebenfalls solche Geschäfte abgeschlossen und hohe Verluste erlitten. Zu diesen Gemeinden zählt auch die Stadt Dorsten. Wir haben in DORSTEN-transparent ausführlich darüber berichtet (s. Links am Ende des Artikels) und verzichten hier auf Wiederholungen. Von Interesse ist indes, wie die nordrhein-westfälische Justiz damit umgeht. Die Stadt hat zwei Swapgeschäfte abgeschlossen, um entstandene Verluste bei Vorgänger-Swaps nicht bezahlen zu müssen. Es ging nicht um die Verringerung der Zinszahlungen. Diese Geschäfte haben zu hohen Verlusten geführt, sehr viel höhere Verluste als bei den Vorgängergeschäften. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm vertritt in einer Stellungnahme folgende Haltung:

“Der Abschluss von Finanzgeschäften zur Minimierung von Verlusten aus Vorgängergeschäften ist ein legitimes Mittel der Verwaltung, um Schäden für die jeweilige Gemeinde gering zu halten bzw. auszuschließen. Es besteht keine Verpflichtung der Kommunen, eingetretene Verluste unmittelbar zu realisieren. Vielmehr kann gerade die Vermeidung der Realisierung von Verlusten den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Haushaltsführung entsprechen.”

Das klingt wie eine Generalabsolution für alles, was beim Umgang mit Spekulationsverlusten falsch gemacht werden kann. Aber niemand behauptet, dass eine Gemeinde oder sonst irgendwer verpflichtet wäre, eingetretene Verluste zu realisieren. Es geht um die Risikoeinstufung des Nachfolgegeschäfts. Die Vermeidung der Verlustrealisierung wurde im Falle Dorstens erkauft mit einem vielfach erhöhten Verlustrisiko des Nachfolgegeschäfts. Noch einmal: Es ging nicht um die Minimierung von Zinslasten. Es ging nur darum, den entstandenen Verlust aus dem Vorgängergeschäft nicht jetzt realisieren zu müssen. Dazu passt, dass die Generalstaatsanwaltschaft Anhaltspunkte für eine Untreuehandlung nur dann sieht, wenn die handelnden Personen bewusst nachteilige Geschäfte für ihre Stadt abschließen, also mit dem Vorsatz handeln, ihrer Stadt Schaden zuzufügen. Das sieht das Landgericht Mannheim anders. Die dort Angeklagten haben sich stets darauf berufen, sie hätten uneigennützig und nach besten Wissen und Gewissen gehandelt und nie etwas anderes im Sinne gehabt als das Wohl ihrer Stadt. Das Gericht hat sich davon nicht beeindrucken lassen. Der Vorsitzende Richter hielt ihnen vielmehr vor, sie hätten aber schon gewusst, dass sie “Handgranaten kaufen und keine Ostereier”, und zog so ihre Arglosigkeit in Bezug auf die eingegangenen Risiken in Zweifel. Es geht um pflichtgemäßes Handeln und Verstöße dagegen.

Ein Fall von kollektivem Versagen

Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm sieht jedenfalls bislang keinen Grund, Ermittlungen aufzunehmen, obwohl unzählige Kommunen in Nordrhein-Westfalen riesige Verluste mit hochriskanten Derivatgeschäften zu Lasten der Bürger erlitten haben. Legt man das Urteil des Landgerichts Mannheim zu Grunde, dann gibt es offenbar einen erheblichen Spielraum, die Geschäfte im Hinblick auf ihre Strafbarkeit zu bewerten. Diese Bewertung vorzunehmen ist Sache eines ordentlichen Gerichts und nicht einer Staatsanwaltschaft. Die unverkennbare Abneigung der Generalstaatsanwaltschaft, auch nur Ermittlungen aufzunehmen, mag neben dem möglichen Ausmaß der Fälle auch noch andere Gründe haben. Wenn sich zeigte, dass strafbare Handlungen bei den Gemeinden vorliegen, dann hat auch die Landesregierung und haben die Kommunal- und die Finanzaufsicht und nicht zuletzt die Gemeindeprüfungsanstalt (GPA) ein Problem. Sie alle haben von den riskanten Geschäften gewusst und sind nicht eingeschritten. Bürgermeister Tobias Stockhoff beruft sich, wenn es um die Spekulationsverluste der Stadt Dorsten geht, gerne auf die Gemeindeprüfungsanstalt: Sie hätte die Dorstener Bücher geprüft und die Geschäfte nicht beanstandet. Das ist für den Bürgermeister der Beweis, dass in Dorsten keine unerlaubten Spekulationsgeschäfte getätigt wurden. Hier zeichnet sich ein kollektives Versagen ab, das weit über die Verfehlungen in einer einzelnen Gemeinde hinausgeht. Wer will sich da die Finger verbrennen?

Richter bezweifelt, dass Kommunen spekulieren dürfen

Man versteht, dass niemand ein Interesse daran hat, eine Untersuchung zur führen und die Vorfälle aufzuklären. So wurde bisher verhindert, dass dem Bürger Genugtuung zuteil wird, indem die Verantwortlichen wenigstens zur Rechenschaft gezogen werden, wenn ihnen denn schwere Pflichtverstöße nachzuweisen sind. Bisher reicht es allen Beteiligten, dass der Bürger für die Verluste einsteht – und schweigt. Es bleibt abzuwarten, wie der Bundesgerichtshof die Spekulationsgeschäfte der Kommunen beurteilt. Bis zu einer Entscheidung kann es allerdings dauern. Die “Süddeutsche Zeitung” schrieb dazu: Der Richter zeigte sich überzeugt, dass sein Urteil vor dem BGH (Bundesgerichtshof) Bestand haben wird. Und bezweifelte, dass Kommunen überhaupt das Recht haben, Spekulationsgeschäfte zu tätigen.“ Wenn sich das bestätigt, könnte es für die Verantwortlichen, die bisher ungeschoren davon gekommen sind, noch einmal eng werden.

Siehe auch: Das Ende einer Legende, dass Schulden nur harmlose Ziffern auf dem Papier sind… Ein Fall für den Staatsanwalt
Siehe auch: Hoher Vermögensschaden der Stadt durch spekulative Währungsverlustgeschäfte. Die Verantwortlichen müssen für den Schaden haften.
Siehe auch: Spekulationsverluste in zweistelliger Millionenhöhe…
Siehe auch: Die Stadt steuert auf einen Höchststand bei den Spekulationsverlusten zu…l

________________________________________________________________Quellen: Frankfurter Allegemeine Zeitung vom 22. November 2017; Süddeutsche Zeitung vom 22. November 2017; Pforzheimer Zeitung vom 22./23./24. November 2017.

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