Elternumfrage zeigt geringe Zustimmung zur Sekundarschule. Die Stadt wertet die Stimmen der unentschiedenen Eltern als Ja-Stimmen und macht so die Umfrage zur Farce

Bald auch in Dorsten?

Von Helmut Frenzel

17. November 2017. – Die Sekundarschule macht weiter von sich reden. Ab dem Schuljahr 2018/2019 wird sie unter dem Namen “Neue Schule Dorsten” in der Sekundarstufe I an den Start gehen. Diese umfasst die Jahrgangsstufen 5 bis 10 und war bisher die Domäne der Haupt- und Realschulen. Deren Ende ist besiegelt, soweit es die Schulen in städtischer Trägerschaft betrifft: Parallel zur Aufnahme des Betriebs der Sekundarschule laufen die Realschule (Erich-Klausener-Schule) und die beiden Hauptschulen (Dietrich-Bonhoeffer-Schule und Geschwister-Scholl-Schule) aus. Sie nehmen ab dem nächsten Schuljahr keine Schüler mehr auf. An ihre Stelle tritt die Sekundarschule. Im Dezember 2016 hatte der Rat der Stadt den Beschluss zur Gründung gefasst. Er steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass sich genügend Eltern finden, die ihr Kind an der “Neuen Schule Dorsten” anmelden wollen. Die Umfrage dazu fand im September statt. Befragt wurden die Eltern von Kindern in den vierten und dritten Klassen der städtischen Grundschulen. 1350 Eltern erhielten den Fragebogen; 609 gaben ihn ausgefüllt zurück (45 Prozent). Kurz darauf gab die Verwaltung bekannt: “Elternbefragung ergibt großes Interesse an Sekundarschule.”  Die Hürde von mindestens 75 Anmeldungen pro Jahrgang werde sicher überschritten. Einzelheiten wurden nicht genannt. Einige Tage später titelte die Dorstener Zeitung: “225 Eltern von Dritt- und Viertklässlern haben in einer Umfrage bekundet: Wir schicken unser Kind in die Sekundarschule”. Das klang nach einem großen Erfolg für Schuldezernent Lars Ehm und den Arbeitskreis Sekundarschule. Aber noch immer wurden keine Detailergebnisse vorgestellt.

Auf Anfrage von DORSTEN-transparent lehnte die Verwaltung die Herausgabe von Einzelheiten ab und verwies  darauf, dass die vollständigen Ergebnisse zur nächsten Sitzung des Schulausschusses veröffentlicht würden. Diese findet in der kommenden Woche statt und tatsächlich sind die kompletten Ergebnisse der Befragung jetzt in einer Vorlage für den Ausschuss  im Rats- und Bürgerinformationssystem der Stadt einzusehen. Die Verwaltung schreibt dazu: “Die Eltern haben […] in einem eindeutigen Votum ihr Interesse an der Neuen Schule Dorsten über den Elternfragebogen bekundet.” Die Ergebnisse zeichnen allerdings ein anderes Bild.

Der Zuspruch zur Sekundarschule ist niederschmetternd gering. Ganze 33 Eltern von Viertklässlern bzw. 42 von Drittklässlern haben sich festgelegt, ihr Kind “ganz bestimmt” an der Sekundarschule anzumelden. 86 bzw. 66 Eltern haben “eher ja” angekreuzt. Aber was heißt das?

Eigenwilliger Umgang mit den Stimmen der Eltern

Sie werden ihr Kind vielleicht oder vielleicht auch nicht zur Sekundarschule anmelden. Eine gesicherte Zahl der Anmeldungen lässt sich aus diesen vagen Meinungsäußerungen nicht ableiten – ganz abgesehen davon, dass die Ergebnisse nicht repräsentativ sind. Sie zeigen nur, dass viele Eltern noch unsicher sind. Der Schuldezernent muss das geahnt haben. Um die Mindestzahl für die Gründung der neuen Schule von 75 Schülern in den beiden ersten Jahrgangsstufen zu erreichen, bestimmte er kurzerhand, die Stimmen für “eher ja” komplett als “PRO Sekundarschule” umzudeuten. Wenn man das tut, dann kommt man auf 119 Stimmen für die Gruppe der Viertklässler und 108 für die der Drittklässler. Zusammen gerechnet ergibt das die stolze Zahl von 227 Stimmen Pro Sekundarschule. So kommt offenbar die von der Dorstener Zeitung verbreitete Zahl der Eltern zustande, denen der Satz in den Mund gelegt wird: “Wir schicken unser Kind in die Sekundarschule”.

Die Kaltschnäuzigkeit, mit der die Verwaltung die Ergebnisse der Elterumfrage zu einem eindeutigen Votum der Zustimmung für die Sekundarschule erklärt, ist bemerkenswert. In Wahrheit sind die Ergebnisse ein Desaster. Um dessen Ausmaß zu erkennen, lohnt ein Blick in die strukturellen Gegebenheiten. Die Erich-Klausener-Realschule und die beiden Hauptschulen, die auslaufen, werden faktisch in der neu zu gründenden Sekundarschule zusammengelegt. Die Eltern, die ihre Kinder bisher in diese Schulen schickten, müssen sich neu orientieren. Sie bilden das Potential, aus dem die Sekundarschule ihre künftigen Schüler rekrutiert. Die zahlenmäßige Größe dieses Potentials ist bekannt. Im Schuljahr 2015/2016 waren das 150 Schüler. Berücksichtigt man die erwartete Entwicklung des Schüleraufkommens in den nächsten Jahren, so reduziert sich dieses Potential auf etwa 140 Schüler je Jahrgangsstufe. Von den Eltern dieser Schüler haben gerade mal 33 (24 Prozent) bekundet, dass sie ihr  Kind “ganz bestimmt” an der Sekundarschule anmelden werden. Diese Zahlen betreffen die Eltern der aktuellen Viertklässler, bei denen die Wahl der Schulform für ihr Kind unmittelbar bevorsteht! Ist das ein eindeutiges Votum für das Interesse der Eltern an der neuen Schule? Da muss sich der Schuldezernent womöglich Sorgen machen, ob er tatsächlich die Mindestzahl von 75 Anmeldungen zusammen bekommt.

Ein weiterer Aspekt ist zu berücksichtigen. Die Eltern haben für ihre Schulwahl auch andere Optionen. Sie können ihr Kind an der St. Ursula-Realschule oder an der Montessori-Realschule anmelden, die als Privatschulen nicht von der Schließung betroffen sind. Und vor allem: Sie können ihr Kind an der Gesamtschule oder einem der beiden Gymnasien anmelden. Das betrifft vor allem die Eltern, die für ihr Kind das Abitur fest im Blick haben und keinen Umweg in Kauf nehmen wollen. Dass ein Teil der Eltern in diese Richtung tendiert, daran besteht kein Zweifel. Dafür spricht der langjährige Trend weg von Haupt- und Realschule und hin zu Gesamtschule und Gymnasium. In der Elternumfrage hatte die Verwaltung auch diesen Aspekt abgefragt und eine klare Ansage erhalten, die die Entwicklung der vergangenen Jahre bestätigt: Wenn es nach den Eltern geht, wird der Anteil der Anmeldungen zur Gesamtschule und Gymnasien noch einmal deutlich zulegen – zu Lasten der Sekundarschule. Dass die Gründung der Sekundarschule diesen Trend umkehrt, ist unwahrscheinlich.

Die Propaganda für die Sekundarschule hat ihr Ziel verfehlt

Alles Trommeln für die “Neue Schule Dorsten” und ein Startgeld von zwei Millionen Euro haben in Bezug auf die Akzeptanz der Schule kaum etwas gebracht. Dabei wurde den Eltern, – und der Öffentlichkeit -, die Sekundarschule als zukunftsweisendes Modell verkauft, an dem niemand vorbei kommt. Am Ende wird entscheidend sein, ob das Konzept der Schule überzeugt. Dabei hat die Schule alles zu bieten, was Eltern sich für ihr Kind wünschen können: gemeinsames Lernen in den beiden ersten Jahrgangsstufen, Inklusion, ein modernes pädagogisches Konzept, das auf individuelle Förderung setzt, Lernmethoden nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, Millionen für die Ausstattung der Räume, gesicherter Übergang in die Schulen der Sekundarstufe II und zum Abitur, Ganztagsbetrieb, Mitsprache der Schüler und Eltern auf allen Ebenen undsoweiter undsoweiter. Die eierlegende Wollmilchsau. Es ist ein einziges Versprechen. Aber wird die Schule es auch einlösen können? Die Eltern sind offenbar misstrauisch. Und sie haben Gründe dafür. Zu viel ist in der Bildungspolitik vermurkst worden. Immer wieder wurden Reformen – natürlich nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen – umgesetzt und später kleinlaut wieder zurückgenommen. Das jüngste Beispiel ist das Schreibenlernen nach Gehör, ein Lieblingskind der modernen Pädagogik, dessen weitere Anwendung einige Bundesländer inzwischen verboten haben. Die Wege der Schulpolitik der letzten 40 Jahre sind gepflastert mit solchen Beispielen.

Rat und Verwaltung wollen die Sekundarschule. Die erforderlichen Beschlüsse sind schon gefasst, die Weichen kommunalpolitisch längst gestellt. Die Elternumfrage ist da nur noch eine lästige Formsache. Da kommt es gerade recht, dass man die wenigen Stimmen von Eltern, die sich klar zur Sekundarschule bekennen, zusammen mit den Vielleicht-Antworten einer vielfach größeren Anzahl von Unentschiedenen zu einem “eindeutigen Votum” für die neue Schule ausrufen kann. Man wird sehen, was die Eltern daraus machen, wenn es demnächst konkret um die Anmeldung ihres Kindes zu einer der weiterführenden Schulen geht.

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Nachstehend veröffentlichen wir die Stellungnahme der Schulkonferenz der Erich-Klausener-Schule zur Schließung der Schule:

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