Von Wolf Stegemann
21. April 2017. – In einem britischen Archiv fand der Marler Alfred Vadder, Experte für Abstürze von Kampfflugzeugen im Zweiten Weltkrieg, einen neuen Befund über den Flugzeugabsturz am 25. März 1945 bei Dorsten-Wulfen. Der übersetzte Text lautet:
Halifax MZ (…) war am 25. März 1945 noch nicht am Ziel (Münster) angelangt, als ein Flak-Geschoss den linken Flügel in Brand setzte. Der rückwärtige Schütze, der verletzt und nicht in der Lage war auszusteigen, starb auf seinem Posten. Der Pilot starb ebenfalls im Flugzeug, das in der Nähe von Wulfen abstürzte. Der Navigator und der Funker [und ein dritter] wurden gefangen genommen. – Deutsche Soldaten eskortierten die Gefangenen, Pilot Officer L.W. Brennan RCAF (mid-upper Schütze), Pilot Officer R.A. Paul RCAF (Zielführer für die Bomben) und Seargent C. E. Lowe (Flugingenieur) zu einer militärischen Einheit, als sie von einer feindseligen Menschenmenge angegriffen wurden, die von Haupttruppenführer Ferdinand Assmann angeführt wurde. Den drei Fliegern gelang es, kurz dem Mob zu entkommen, aber ihre Freiheit war von kurzer Dauer. Während sie von der Menge geschlagen wurden, standen sie mit erhobenen Händen, als ihnen sich Sturmführer Otto Wunderlich von hinten näherte. Mit den Worten „Wollten Sie noch nicht sterben, lieber Freund?“ (…), erschoss er sie. Ein Mann lebte noch. „Nun wirst du niemals mehr abspringen“ sagte Wunderlich (…) und schoss noch einmal. Zunächst in einem Bombenkrater auf dem Friedhof in Wulfen begraben, liegen sie drei Opfer nun im Groesbeek Canadian War Cemetery (Soldatenfriedhof) in Nijmegen (Niederlande). Wunderlich beging später im Gefängnis Selbstmord.“
Otto Wunderlich, geboren 1911, wohnte zuletzt in Dülmen und war von Beruf „SA-Verwaltungsführer“.
Alliierte Flieger wurden im Wulfener Lager erschlagen
Die Crew des Halifax-Bombers hatte sieben Mann Besatzung, die auf der RAF Base East Moor stationiert war. Die Maschine gehörte zu der 415 Squadron. Die Besatzungsmitglieder waren Kanadier und gehörten der Royal Canadian Air Force an. Bei dem Absturz kamen ums Leben: Sergeant S. W. Lowe, Flight-Sergeant L. W. Brennan, bestattet auf dem kanadischen Kriegsgräberfriedhof in Groesbeek, Sergeant R. A. Paul, Flying Officer J. R. McCollus, bestattet auf dem Waldkriegsgräberfriedhof im Reichswald, Warrant Officer 2. Klasse J. M. Jones, bestattet auf dem kanadischen Kriegsgräberfriedhof Groesbeek. Den Absturz überlebten: Flight-Sergeant A. N. Knight und Sergeant R. M. Aylesworth, denen nach ihrer Festnahme ein besonders tragischen Schicksal ereilte. Die beiden Kanadier wurden zusammen mit einem schon vorher gefangen genommenen britischen Piloten im früheren RAD-Lager und 1945 ein bewachtes Ostarbeiterlager in Wulfen-Deuten an der heutigen B 58 festgehalten und dort gelyncht. Im obigen britischen Bericht ist dieses Lager als „militärische Einheit“ bezeichnet. Der dieser Mordtaten bezichtigte SA-Lagerkommandant Ferdinand Aßmann, ein Dorstener, entkam bei Kriegsende zuerst nach Bückeburg und wurde nach Beendigung des Krieges von den Alliierten gesucht. Nach seiner Verhaftung soll er im Gefängnis Selbstmord durch Erhängen verübt haben. Über den SA-Führer Otto Wunderlich liegen bislang keine weiteren Erkenntnisse vor. Die Mitglieder der bei Wulfen abgestürzten kanadischen Bomber-Crew erhielten postum die „War Medal 1939-45“ und den „Star 1939-45“.
Dorstener Flaksoldat schlug US-Bomberpiloten mit einer Schaufel
In Dachau fanden von 1945 bis 1948 vor dem US-Army-Strafgericht Für Europa Prozesse gegen Deutsche statt, die Kriegsverbrechen an Alliierten begangen hatten. Darunter wurde von dem Marler Kriegsforscher Alfred Vadder ein Fall gefunden, der mit Dorsten in Zusammenhang steht. Am 10. November 1947 fand vor dem General Military Government-Court in Dachau der Prozess gegen Werner Hess statt (Az. Nr. 12-1292). Er war angeklagt, am 15. Oktober 1944 einen gefangen genommenen amerikanischen Bomberpiloten in Dorsten als Vergeltung für einen Luftangriff mit „Schaufeln und anderen Objekten“ angegriffen, geschlagen und andere ermutigt zu haben, es ihm gleich zu tun. Der angeklagte Werner Hess war zum Zeitpunkt der Tat, die als Kriegsverbrechen gewertet wurde, Soldat in dem in Dorsten stationierten Flak-Regiment. Werner Hess wurde zu sechs Monaten Gefängnishaft milde verurteilt.
Ein Fall aus Gelsenkirchen-Buer-Resse
Am 27. Februar 1945 wurde über Gelsenkirchen ein englischer Lancaster-Bomber abgeschossen. Der Pilot, der mit dem Fallschirm abgesprungen war, wurde festgenommen und sollte dem Fliegerhorst Buer zugeführt werden. Es wurde ganz im Sinne des so genannten „Fliegerbefehls“ des südwestfälischen Gauleiters und Reichsverteidigungskommissars Albert Hoffmanns befohlen, den Piloten nicht mit dem Auto, sondern zu Fuß zum Fliegerhorst Buer zu bringen, damit „er dort nicht lebend ankommt“. In der Anweisung Hoffmanns vom 25. Februar 1945 steht: „Sämtliche Jabo-Piloten, die abgeschossen werden, sind grundsätzlich der Volksempörung nicht zu entziehen.“ So wurde der Flieger durch die Straßen Richtung Fliegerhorst Buer geprügelt. Der englische Pilot starb schließlich an schweren inneren Blutungen. Es war ein staatlich legitimierter Mord.
Der Ermittlungs- und Strafprozess 1946 wegen Lynchmord
1946 wurde von der englischen Militärgerichtsbarkeit ein Verfahren wegen dieses Lynchmordes eingeleitet. Die Beteiligten wurden ausfindig gemacht und zwei der Haupttäter wegen Mordes an den Piloten N. C. Cowley angeklagt. Im nachfolgenden Prozess konnte den Angeklagten der Mord nicht nachgewiesen werden. Lediglich zwei Beteiligte namens Engel und Siebert verurteilten die Militärrichter zu jeweils sechs Monaten Gefängnis.
Lynchmorde an Fliegern waren von der Partei angeordnet
Als Fliegermorde wird die Tötung abgeschossener oder notgelandeter alliierter Flugzeugbesatzungen in der Endphase des Zweiten Weltkriegs bezeichnet. Die überwiegende Zahl der Täter waren lokale Funktionäre der NSDAP sowie Angehörige der Kriminalpolizei und der Gestapo. Nach Kriegsende erfolgte die juristische Aufarbeitung in den Fliegerprozessen vor alliierten Militärgerichten. Über 150 der Angeklagten wurden hingerichtet. Die Behandlung von Flugzeugbesatzungen, die über feindlichem Gebiet abgeschossen wurden oder auf Grund technischer Defekte notlanden mussten, war in der Haager Landgerichtsordnung von 1907 und in der Genfer Konvention von 1929 festgelegt. Beide internationale Abkommen waren vom Deutschen Reich anerkannt worden und blieben bis Kriegsende de jure in Kraft. Zur Behandlung von Kriegsgefangenen hieß es in der Genfer Konvention:
„Sie müssen jederzeit mit Menschlichkeit behandelt und insbesondere gegen Gewalttätigkeiten, Beleidigungen und öffentliche Neugier geschützt werden. Vergeltungsmaßnahmen an ihnen auszuüben ist verboten.“
Wer nicht mitmachte, Piloten zu töten, war mit KZ-Haft bedroht
Reichsführer-SS Heinrich Himmler sagte in einer Weisung vom 10. August 1943, es sei „nicht Aufgabe der Polizei, sich in Auseinandersetzungen zwischen deutschen Volksgenossen und abgesprungenen englischen und amerikanischen Terrorfliegern einzumischen“. Die Weisung erging an die Befehlshaber der Ordnungspolizei (BdO) und Sicherheitspolizei (BdS) und sollte nachgeordneten Dienststellen sowie den Gauleitern der NSDAP mündlich zur Kenntnis gebracht werden. Ernst Kaltenbrunner, Chef des Reichssicherheitshauptamtes, bekräftigte diese Weisung am 5. April 1944 und gab bekannt, dass Himmler für Personen, die sich aus „falsch verstandenem Mitleid gegenüber gefangen genommenen feindlichen Fliegern würdelos verhalten“, in leichten Fällen „Schutzhaft“ nicht unter 14 Tagen, in schweren Fällen Einweisung in ein Konzentrationslager angeordnet habe. Seitens der NSDAP ließ Martin Bormann Ende Mai 1944 in einem geheimen Rundschreiben an die Reichsleiter, Gauleiter und Kreisleiter der Partei wissen:
„Englische und nordamerikanische Flieger haben in den letzten Wochen wiederholt im Tiefflug auf Plätzen spielende Kinder, Frauen und Kinder bei der Feldarbeit, pflügende Bauern, Fuhrwerke auf der Landstraße, Eisenbahnzüge usw. aus geringer Höhe mit Bordwaffen beschossen und dabei auf gemeinste Weise wehrlose Zivilisten – insbesondere Frauen und Kinder – hingemordet. Mehrfach ist es vorgekommen, daß abgesprungene oder notgelandete Besatzungsmitglieder solcher Flugzeuge unmittelbar nach der Festnahme durch die auf das äußerste empörte Bevölkerung an Ort und Stelle gelyncht wurden. Von polizeilicher und strafgerichtlicher Verfolgung der dabei beteiligten Volksgenossen wurde abgesehen.“
Auch die Wehrmacht fügte sich
Die letzten bekannt gewordenen Befehle stammen von dem Kommandierenden General des Luftgaues VI (Münster), August Schmidt, der den Mordbefehl der Wehrmacht (Keitel) am 11. Dezember 1944 weisungsgemäß weitergab, sowie von Albert Hoffmann, dem Gauleiter und Reichsverteidigungskommissar des Gaues Westfalen-Süd. Nach seinem Schreiben vom 26. Februar 1945 an alle Landräte, Oberbürgermeister, Polizeiverwalter, NS-Kreisleiter und an die Kreisstabsführer des Deutschen Volkssturms sind abgeschossene Jabopiloten „grundsätzlich der Volksempörung nicht zu entziehen. Ich erwarte von allen Dienststellen der Partei“, schrieb Hoffmann weiter, „daß sie sich nicht als Beschützer dieser Gangstertypen zur Verfügung stellen. Behördliche Dienststellen, die dem gesunden Volksempfinden zuwiderhandeln, werden von mir zur Rechenschaft gezogen.“
Zahlen, Täter, Opfer und Strafprozesse
Die genaue Zahl der Morde an alliierten Fliegern ist nicht bekannt. Nachgewiesen sind 225 Fälle, die Gesamtzahl wird auf 350 geschätzt. Weitere 60 Flieger wurden misshandelt, ohne dabei zu Tode gekommen zu sein. Im Ruhrgebiet häuften sich die Fälle nicht während des Höhepunkts der britischen Luftangriffe zwischen März und Juli 1943 („Battle of the Ruhr“), sondern im Oktober 1944 und im Februar/März 1945. Hinsichtlich der Täter lassen sich zwei Hauptgruppen erkennen: Lokale Vertreter der NSDAP, SA und Angehörige von Kriminalpolizei und Gestapo. Insbesondere NSDAP-Kreisleiter und ihre Vertreter waren unmittelbar an den Fliegermorden beteiligt. Ortspolizisten waren in Einzelfällen für Tötungen verantwortlich, häufiger für Misshandlungen unmittelbar nach der Festnahme. In vereinzelten Fällen wurden die Morde von Soldaten der Wehrmacht verübt. Die örtliche Bevölkerung war bei einer Reihe von Fliegermorden ebenfalls beteiligt. Die Historikerin Barbara Grimm kommt zu folgender Einschätzung:
„Die Übergriffe auf abgestürzte alliierte Flieger waren im Regelfall keine Racheakte für unmittelbar vorangegangene Bombenangriffe. Aufgestachelt durch die Vergeltungspropaganda des Regimes dienten die Angriffe letztlich vor allem als willkommene Anlässe, um der wachsenden Brutalisierung und Radikalisierung ein Ventil zu geben. Täter waren in der Regel nationalsozialistische Funktionsträger, die keine Scheu davor hatten, selbst Hand anzulegen. Der Lynchmord im Sinne sich selbst mobilisierender Kommunen und Stadtviertel war dagegen die Ausnahme.“
Nach dem Krieg waren die Tötung und Misshandlung alliierter Flieger einer der ersten Verbrechenskomplexe, die von den Alliierten juristisch aufgearbeitet wurden. Vor britischen und kanadischen Gerichten fanden bis zum 1. Mai 1947 annähernd 30 Verfahren statt. Im Kriegsverbrechergefängnis Landsberg am Lech (Bayern) wurden insgesamt 82 Todesurteile gegen die in den amerikanischen Prozessen Verurteilten vollstreckt.
Lynchmorde an Fliegern im Umkreis von Dorsten
Kranenburg – 17. September 1944: Ermordung von zwei kriegsgefangenen kanadischen Fallschirmspringern durch einen SA-Obersturmbannführer in Kranenburg/Niederrhein. Bei den Ermordeten handelt es sich jedoch nicht um Notabspringer aus einem abgeschossenen Flugzeug, sondern um Fallschirmjäger, die bei dem britischen Luftlandeunternehmen von Arnheim/Nimwegen vom Wind auf deutsches Gebiet abgetrieben worden waren.
Rheine – September 1944 bis Januar 1945: Ermordung von neun kriegsgefangenen alliierten Fliegern durch Wehrmachtsangehörige des Fliegerhorstes Rheine (auf Veranlassung eines SA-Standartenführers).
Wolbeck – Oktober 1944: Ermordung eines amerikanischen Fliegers durch einen deutschen Offizier in der Nähe von Wolbeck (östlich von Münster).
Essen – 13. Dezember 1944: Ermordung von drei britischen Fliegern in Essen.
Rhede – Februar 1945: Ermordung eines neuseeländischen Offiziers der Royal Air Force zwischen dem 1. und 28. Februar 1945 in Rhede (Quelle: Bundesarchiv Koblenz: Akte All Prov. 8, JAG 321).
Duisburg – März 1945: Ermordung zweier unbekannter alliierter Flieger in Duisburg-Nienhausen. Obwohl der Tatort Duisburg-Nienhausen in der Akte des Bundesarchivs Koblenz ebenso eindeutig genannt wird wie in der Auflistung der im britischen Public Record Office archivierten Prozessakte (lfd. Nrn. 299, 300 und 1160), bleibt der Fall insofern unklar, als es einen Ort oder einen Stadtteil Nienhausen oder Nienkausen in oder nahe Duisburg lt. Schreiben des dortigen Stadtarchivs nicht gibt (Quelle: Bundesarchiv Koblenz: Akte All Prov. 8, JAG 309).
Dortmund – 19. März 1945: Ermordung eines amerikanischen Piloten in Dortmund-Asseln (nahe dem Stadtteil Brackel).
Bochum – 24. März 1945 Ermordung eines britischen Fliegers in Bochum-Altenbochum durch Zivilisten und NS-Funktionäre. – 24. März 1945 Ermordung eines (vermutlich) australischen Fliegers in Bochum-Laer (nachmittags). – 24. März 1945 Ermordung von zwei (vermutlich) australischen Fliegern ebenfalls in Bochum-Laer (abends).
Velen – 25. März 1945: Ermordung eines britischen Fliegeroffiziers in Velen.
Dorsten-Wulfen – 25. März 1945 Ermordung von zwei kanadischen und einem englischen Flieger im Dorstener Stadtteil Wulfen. Fall oben geschildert.
Dortmund – 25. März 1945 Ermordung eines amerikanischen Staffelkapitäns (Major) durch einen SA-Mann in Dortmund-Asseln.
Witten – 25. März 1945 (?) Ermordung des Piloten eines britischen Jagdflugzeuges in Witten-Vormholz.
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Sehr geehrte Damen und Herren,
ich bin Lehrer am St.-Pius-Gymnasium und unterrichte dort einen Projektkurs, der sich mit dem Thema “Bombardierung Coesfelds am 10.10.1943” beschäftigt. In diesem Zusammenhang sind wir auf ein Bild gestoßen, das in Ihrer Schrift “Dorsten transparent” veröffentlicht wurde und das wir gerne für eine filmische Dokumentation verwenden würden. Es zeigt ein im März 1945 abgestürztes Flugzeug. Meine Anfrage an das Stadtarchiv Dorsten hat ergeben, dass dieses Foto dort nicht im Besitz ist. Deshalb möchte ich fragen, ob dieses und ähnliche Fotos in Ihrem Besitz sind und ob wir ggf. dieses Foto für unsere filmische Dokumentation verwenden könnten. Für eine Antwort wäre ich Ihnen sehr dankbar.
Mit freundlichen Grüßen
Bernd Ostendorf