Demografischer Wandel stellt die Gemeinden vor neue Herausforderungen – Dorsten muss sich kleiner setzen

4. Mai 2012. drf – Dorsten wird, so hat es das Statistische Landesamt in seiner Modellrechnung zur zukünftigen Bevölkerungsentwicklung vorgerechnet, bis 2030 voraussichtlich zwölf Prozent seiner Bevölkerung verlieren und dann nur noch 68.000 Einwohner zählen – 13.000 weniger als 2002 und 9.000 weniger als 2010. Der Rückgang der Bevölkerung und die damit einhergehende Alterung werden tief greifende Folgen in allen gesellschaftlichen Bereichen haben. Das gilt auch für Politik und öffentliche Verwaltung – auch in Dorsten. Die Strukturen, die einmal für eine Bevölkerung von über 80.000 Einwohnern gedacht waren, werden sich in vielen Bereichen als überdimensioniert erweisen. Dorsten muss sich kleiner setzen.

Damit ist Dorsten nicht allein. Der Schrumpfungsprozess in den Kommunen verläuft vor dem Hintergrund eines demografischen Wandels, von dem Deutschland wegen der extrem niedrigen Geburtenrate stärker betroffen ist als die meisten entwickelten Industrieländer. Diese liegt um ein Drittel unter der Rate, die  zur Erhaltung der Bevölkerungszahl notwendig wäre. Mit der Verabschiedung ihrer Demografiestrategie hat die Bundesregierung kürzlich einmal mehr auf dieses Thema aufmerksam gemacht, das in seiner Bedeutung in den Köpfen der breiten Bevölkerung, aber auch vieler Politiker noch immer nicht wirklich angekommen zu sein scheint.

Das Thema demografischer Wandel ist nicht neu. „Seit Mitte der 60er Jahre hat sich die Zahl der jährlich Neugeborenen mehr als halbiert. Gleichzeitig ist die Lebenserwartung um 10 Jahre gestiegen. Die Alterung der Gesellschaft war damit so früh programmiert wie in keinem anderen Land“, sagt Reiner Klingholz vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Diese Entwicklung wird von zwei Einflussfaktoren bestimmt: dem Rückgang der Bevölkerung und der radikalen Änderung des Altersaufbaus der Gesellschaft.

Die Bevölkerung Deutschlands könnte bis 2050 um 10 Millionen schrumpfen

Lange Zeit wurde das Geburtendefizit durch Wanderungsgewinne überkompensiert. Seit 2003 ist das nicht mehr der Fall – die Bevölkerung in Deutschland schrumpft und dieser Trend hält an. 2010 betrug die Bevölkerungszahl  81,7  Millionen. Seinen Bevölkerungsvorausberechnungen legt das Statistische Bundesamt für die Zukunft Wanderungsgewinne in zwei Varianten zugrunde. Bei einem durchschnittlichen Wanderungsüberschuss von jährlich 100.000 schrumpft die Bevölkerung bis 2030 um 4,4 Millionen. Liegen die Wanderungsgewinne dagegen bei jährlich 200.000 verlangsamt sich der Rückgang im gleichen Zeitraum auf 2,7 Millionen. Bei diesen Annahmen liegt die Bevölkerungszahl 2030 zwischen 77,4 und 79,0 Millionen.

Nach 2030 beschleunigt sich das Tempo des Bevölkerungsrückgangs. Die berechneten Eckwerte für 2050 sind 69,4 Millionen und 73,6 Millionen Einwohner. Innerhalb dieses Korridors könnte die tatsächliche Bevölkerungszahl dann liegen. Eine höhere Zahl ist nur zu erwarten, wenn die Geburtenrate spürbar steigen sollte. Dafür gibt es allerdings bislang keine Anzeichen.

Wie soll man sich den Schrumpfungsprozess konkret vorstellen? Dazu noch einmal Reiner Klingholz: „Der Schwund wird sich nicht gleichmäßig über das Land verteilen, sondern vor allem jene Gebiete treffen, die schon heute unter der Abwanderung junger Menschen leiden: periphere ländliche Räume und alte Industriereviere, die den Strukturwandel nicht bewältigt haben.“  Wohin das führen kann, zeigen die Entwicklungen in einigen Regionen der neuen Bundesländer. „Ländliche Gebiete in Sachsen-Anhalt, in Vorpommern oder Brandenburg brauchten mittlerweile eine regelrechte Besiedlungspolitik nach dem Vorbild von Friedrich II., wollte man all die Schulen und Kindergärten, die Kulturscheunen, Museen und Spaßbäder mit Leben füllen und die Unterhaltskosten für Kläranlagen, Fernwärme und Wasserleitungen decken. Manche Politiker in der Provinz und sogar Länderministerien rufen bereits nach einer Einwanderung, denn ohne Konsumenten, Gebühren- und Steuerzahler braucht der Letzte das Licht bald nicht mehr auszumachen. Die Energieversorger stellen den Strom schon vorher ab.“

Niedrige Geburtenrate und gestiegene Lebenserwartung erzwingen Anpassung der technischen und sozialen Infrastruktur

Der Bevölkerungsschwund ist nur ein Aspekt. Der zweite ist die Alterung der Gesellschaft und die dramatisch zu nennende Abnahme der Bevölkerung im Erwerbsalter. Alle, die sich mit diesen Problemen beschäftigen, sind sich einig, dass die Alterung der Bevölkerung der härteste Teil der  Herausforderung ist. Sie verläuft nicht gleichmäßig. Den geburtenstarken Jahrgängen der „Babyboomer“ folgte seit Ende der 1960er Jahre mehr oder weniger übergangslos der Absturz der Geburtenrate auf das seither niedrige Niveau. Wenn die geburtenstarken Jahrgänge ab 2020 in den Ruhestand gehen, beschleunigt sich dementsprechend der Prozess der Alterung der Bevölkerung. Der demografische Wandel, so der Demografiebericht der Bundesregierung, ist unumkehrbar und wird Auswirkungen auf nahezu alle Lebensbereiche haben.

Vor diesem Hintergrund müssen sich die Gemeinden mit Blick auf die in ihrem Einzugsbereich konkret zu erwartende Bevölkerungsentwicklung neu aufstellen. Denn, so sagt die Bundesregierung: „ Die demografischen Entwicklungen verändern die Rahmenbedingungen für die Bereitstellung von technischer und sozialer Infrastruktur. Deren Spektrum reicht  von bedarfsgerechten Verkehrsinfrastrukturen und Mobilitätsangeboten über die Telekommunikations-, Energie- und Wasserversorgung, die Abwasser- und Abfallentsorgung bis hin zur Gesundheitsversorgung und den Bildungseinrichtungen. […] Vielerorts können die Abnahme der Wohnbevölkerung und der damit verbundene Nachfragerückgang nach Infrastrukturleistungen zu einer Überdimensionierung bestehender Infrastrukturen führen.“

Im Klartext heißt das: abhängig vom Ausmaß des Bevölkerungsrückgangs müssen die öffentlichen Leistungen dem zu erwartenden geringeren Bedarf angepasst werden. Das ist keine Frage einer pauschalen Kürzung von Ausgaben. Weil sich gleichzeitig durch die Alterung der Bevölkerung die Bedarfsstruktur ändert, stellt sich die Aufgabe, die Strukturen und die Angebote öffentlicher Leistungen neu auf die Notwendigkeiten der Zukunft auszurichten. Das hat im Bereich der Schulen längst begonnen, wird aber darauf nicht begrenzt bleiben.

Dorsten infolge der Wanderungsverluste besonders stark betroffen

Nach den Vorausberechnungen des Statistischen Landesamtes ist Dorsten vom Bevölkerungsrückgang stärker betroffen als andere Gemeinden in der Region. Das ist neben dem Geburtendefizit, das Dorsten wie alle anderen Gemeinden verzeichnet, vor allem den Wanderungsverlusten geschuldet. Es ziehen seit Jahren mehr Einwohner von Dorsten weg als Neubürger zuziehen. Einzelheiten dazu sind im Archiv von Dorsten-transparent nachzulesen.

Dorsten muss sich kleiner setzen und gleichzeitig den Spagat schaffen, die städtischen Strukturen auf die Bedürfnisse einer stark alternden Bevölkerung auszurichten – das alles möglichst ohne die Ausgaben zu erhöhen, denn dafür fehlt das Geld.  Dass das kein Spaziergang wird, lässt der Demografiebericht 2011 der Bundesregierung erahnen: „  […]  die Leistungserbringung wird mit alternden Belegschaften, geringeren Finanzressourcen, weiterem Personalabbau und komplexeren Prozessen sicherzustellen sein.“

Patentrezepte gibt es nicht. Jede Gemeinde muss mit Blick auf die lokalen Besonderheiten nach Lösungen suchen, wie sie mit der Herausforderung umgehen will. Angesichts der trüben Aussichten in Bezug auf die Bevölkerungsentwicklung ist es höchste Zeit, dass  die Dorstener Politik sich dieses Themas ernsthaft annimmt. Die Benennung eines ehrenamtlichen Demografiebeauftragten der Stadt wird kaum ausreichen. Im inzwischen angegrauten „Kommunalpolitischen Aktionsprogramm 2009-2014“ der CDU finden sich immerhin Hinweise auf den demografischen Wandel und auf die damit verbundenen Herausforderungen. Die im Februar 2011 von CDU-Stadtverband und CDU-Ratsfraktion ins Leben gerufene „Zukunftskommission – Dorsten 2025“ ist mit greifbaren Ergebnissen oder Ansätzen dazu bisher allerdings nicht hervorgetreten. Bei den anderen Parteien kommt der demografische Wandel erst gar nicht vor. Das Thema hat in der Kommunalpolitik erkennbar nicht den Stellenwert, den es haben sollte.

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Quellen: Bundesministerium des Inneren, Demografiebericht – Bericht der Bundesregierung zur demografischen Lage und zur künftigen Entwicklung des Landes, 2011. – Bundesministerium des Inneren, Jedes Alter zählt – Demografiestrategie der Bundesregierung, 2012. – Reiner Klingholz, Jedes Alter zahlt, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25. April 2012
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Ein Kommentar zu Demografischer Wandel stellt die Gemeinden vor neue Herausforderungen – Dorsten muss sich kleiner setzen

  1. Nur Menschen, die eine Zukunft planen können, sind auch bereit und willens, Nachkommen in diese unsere Welt zu setzen. In meiner Jugend wurde z. B. gesagt “gehe auffe Zeche oder zur VEBA, da hasse watt bis zur Rente”. Wer damals eine Ausbildung antrat, konnte sicher sein, einen Festvertrag später irgendwo zu bekommen. Heutzutage hangeln sich Jungakademiker mit vielen Praktikantenverträgen über die Jahre, ein Azubi weiß niemals, ob er übernommen wird. In den Jahren von 1999 bis 2010 sind über 3 Mio. feste Arbeitsplätze in Deutschland entsorgt worden und Vollzeitstellen mit einem guten Einkommen sind rar. Wer soll sich denn da noch als junger Mensch mit einer Familie belasten, von der er nicht weiß, ob er diese ernähren kann. Aber Regierungen in Europa werden ja schon abgewählt, weil dieses irrsinnige Vorgehen von Politikern keine Familienzukunft generieren kann. Vielleicht ändert sich ja bald was und der Trend des Bevölkerungswachstums geht wieder hoch. Ich meine, es ist das einzige Freizeitvergnügen, das noch steuerfrei ist.

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