Forward Zahlerswap: Die Deutungshoheit der Verwaltung bröckelt. Eine endgültige Klärung der Zulässigkeit kann nur durch eine unabhängige Instanz herbeigeführt werden

Dorstener Rathaus, Sitz der Stadtkämmerei und des Bürgermeisters; Foto: Frenzel

Von Helmut Frenzel

19. April 2021. – In der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses (HFA) am 17. März 2021 hatte die Fraktion Die Grünen vom Bürgermeister mehr Informationen zu dem umstrittenen Derivatgeschäft mit dem Namen Forward Zahlerswap verlangt. Dies geschah mit dem Hinweis, dass das Geschäft 2009 abgeschlossenen wurde und dieses für die neuen Ratsmitglieder der Grünen folglich neu ist. Dazu muss man wissen, dass das Geschäft aktuell einen Drohverlust von 13 Millionen Euro aufweist. Der Verlust ist in die Bilanz eingestellt und mindert das Eigenkapital um diesen Betrag. Nun legte die Verwaltung nach und veröffentlichte eine Ergänzung der Berichtsvorlage, die als Anlage auf der Tagesordnung der HFA-Sitzung eingestellt und im Rats- und Bürgerinformationssystem unter dem Datum der HFA-Sitzung abrufbar ist. Sie enthält auch eine „Rechtliche Einschätzung“. Die darin vorgebrachten Argumente können jedoch nichts daran ändern, dass der Forward Zahlerswap von Beginn an unzulässig war.

Die Beurteilung der Zulässigkeit scheint eigentlich ziemlich einfach. Der Krediterlass der Landesregierung vom 9. Oktober 2006 besagt (§ 2.2  Abs. 3):

„Es ist grundsätzlich zulässig, Zinsderivate zur Zinsabsicherung zu nutzen. Diese Instrumente dürfen allerdings lediglich im Rahmen des abgeschlossenen Kreditgeschäftes eingesetzt werden. Dementsprechend sind Geschäfte mit Derivaten, die unabhängig von Kreditgeschäften abgeschlossen werden, als spekulative Geschäfte für Gemeinden unzulässig.“

Bisher hatte es den Anschein, dass der Forward Zahlerswap der Stadt Dorsten an einen Kredit gebunden ist, und damit galt er als zulässig. In seiner Berichtsvorlage an den HFA schreibt der Bürgermeister nun aber etwas anderes: Es gebe keinen Kredit. Auch in der Ergänzung wird nichts Gegenteiliges behauptet. Wenn es aber keinen Kredit gibt, war das Geschäft unzulässig. Der Vertrag wurde im Februar 2009 abgeschlossen und fällt somit unter den Krediterlass von 2006 (s.o). Anders als bisher muss der Befund folglich lauten: Der Forward Zahlerswap war unzulässig.

Versuch der Umdeutung zu einem Zinssicherungsgeschäft scheitert

In der nachgereichten Ergänzung versucht die Verwaltung, die geforderte Konnexität des Zinsswaps zu einem oder mehreren Krediten herzustellen, welche die Stadt im Bestand hält. Dies geschieht unter Bezugnahme auf einen späteren Krediterlass der Landesregierung von Oktober 2009, der diese Möglichkeit eröffnet. Der Versuch geht jedoch ins Leere. Beide Krediterlasse und auch die später noch folgenden stellen darauf ab, dass Gemeinden Zinsderivate (nur) zur Zinssicherung und zur Optimierung ihrer Zinsbelastung nutzen können. Die Stadt Dorsten hatte aber 2009 keinen Bedarf für eine Zinssicherung und hat ihn auch heute nicht. Ein Zinssicherungsgeschäft macht nur Sinn bei einem langfristigen Kredit mit variablem Zins. Die Stadt hielt nach eigener Darstellung zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses und hält bis heute keine solche Kredite in ihrem Bestand. Das erklärt auch, warum in allen im Ratsinformationssystem zugänglichen Berichtsvorlagen zu diesem Thema das Wort Zinssicherung im Zusammenhang mit dem Forward Zahlerswap nicht vorkommt. Eine Zinssicherung in Verbindung mit einem oder auch mehreren langfristigen Krediten war seitens der Stadt definitiv nicht beabsichtigt. Das war auch nicht möglich, weil dafür die Grundlage fehlte, nämlich: langfristige Kredite mit variablem Zinssatz. Wer jetzt noch im Zweifel ist, der mag die im Rats- und Bürgerinformationssystem zugänglichen Berichtsvorlagen lesen. Der Forward Zahlerswap wird dort als ein von jeglichem Kredit unabhängiges Spekulationsgeschäft dargestellt. Es ging nicht um die Zinssicherung für ein Darlehen, sondern erklärtermaßen (!) alleine um die Erzielung eines Spekulationsgewinns.

Der Abschluss des Derivatgeschäfts war eine Amtspflichtverletzung

Auch führt die Idee in die Irre, die Stadt könne die bislang fehlende Konnexität durch Aufnahme eines langfristigen Kredits zum Beginn der Laufzeit des Forward Zahlerswap im Jahr 2033 herstellen. Dieser Plan kollidiert mit den Krediterlassen der Landesregierung, welche verlangen, dass das Kreditgeschäft, auf das sich der Zinsswap bezieht, zeitlich vor dem Swapgeschäft abgeschlossen sein muss. Für einen Kredit, der in 2033 aufgenommen wird, trifft dies offensichtlich nicht zu. Deswegen bleibt es dabei: Es gibt keine Konnexität des Forward Zahlerswap mit einem Kreditgeschäft und sie kann auch nachträglich nicht herbeikonstruiert werden. Das Geschäft war von Beginn an unzulässig und sein Abschluss eine Amtspflichtverletzung. Die Frage, ob sich die Stadt in ihrer Argumentation überhaupt auf einen Krediterlass berufen kann, den die Landesregierung erst Monate nach dem Abschluss des umstrittenen Geschäfts herausgegeben hat, kann hier offen bleiben. Die Verwaltung versucht jetzt verzweifelt, ein lupenreines Spekulationsgeschäft, das gründlich schief gegangen ist, zu einem erlaubten Zinssicherungsgeschäft umzudeuten. Doch da können die Juristen der Stadt noch so sehr im Kleingedruckten der Krediterlasse nach Ansatzpunkten suchen, es hilft nichts: Der Stadtkämmerer Wolfgang Quallo selbst schreibt, dass der Forward Zahlerswap in der alleinigen Absicht abgeschlossen wurde, einen Spekulationsgewinn zu erzielen. Nachzulesen in den Berichtsvorlagen an den HFA. Damit alleine ist die Frage, ob zulässig oder unzulässig, beantwortet.

Einsichtnahme in die Originaldokumente beantragt

Zur weiteren Klärung des Sachverhalts kann nur die Sichtung der Vertragsakte beitragen. Dorsten-transparent hat deswegen schon kurz nach der HFA-Sitzung am 17. März 2021 einen Antrag auf Einsichtnahme gestellt, bisher aber keine Terminzusage erhalten. Dass dabei noch neue Argumente zu Tage kommen könnten, die bisher nicht schon vorgebracht wurden, erscheint allerdings wenig wahrscheinlich. Die Einsichtnahme könnte dagegen Aufschluss über andere Aspekte geben wie diese: Wer hat die Verhandlungen geführt und wer die Entscheidung zum Abschluss des Zinsswaps getroffen; waren Mitglieder des Rates eingebunden und gegebenenfalls welche; wurde das Erfordernis der Konnexität gewürdigt und warum wurde es am Ende nicht beachtet? Und anderes mehr.

Ungeachtet dessen arbeitet Bürgermeister Tobias Stockhoff, unterstützt von den Fraktionsvorsitzenden der CDU und SPD, Schwane und Fragemann, daran, die Deutungshoheit der Verwaltung bezüglich der Zulässigkeit des Swapgeschäfts zu verteidigen. Eine neutrale rechtliche Klärung kann nach Lage der Dinge nur durch eine unabhängige Instanz erfolgen. Es ist Aufgabe des Rates, sich darum zu kümmern, dass dies geschieht. Das allerdings könnte noch spannend werden. Denn die Rolle der beiden Fraktionsvorsitzenden von CDU und SPD, beim Zustandekommen des Swapgeschäfts ist bisher nicht bekannt. Sie gehörten auch 2009 in dieser Funktion dem HFA an.

Siehe bereits veröffentlichte Artikel zum Thema:

Die im Ratsinformationssystem zugänglichen Dokumente lassen nur einen Schluss zu: Der Forward Zahlerswap ist ein unzulässiges Spekulationsgeschäft der Stadt

Müssen sich nur die Bürger an Gesetze halten? Oder gelten die auch für den Stadtkämmerer und den Bürgermeister?

Zoff im Haupt- und Finanzausschuss. Über ein verlustreiches Spekulationsgeschäft wurde heftig gestritten. Die Wahrheitsfindung blieb dabei auf der Strecke

Neuer Millionenverlust bei einem Spekulationsgeschäft. Anders als bisher berichtet soll der Zinsswap nicht an einen Kredit gebunden sein. War das Geschäft überhaupt zulässig?

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