Zurückgeblättert: Bismarck-Turm – Das hölzerne Bauwerk am Freudenberg wurde vor 100 Jahren abgerissen. Es stand nur sieben Jahre lang

Der frühere Bismarck-Turm am Freudenberg; Zeichnung von Anna Wichelhaus

Von Wolf Stegemann

Die bisherigen Bundeskanzler und die amtierende Kanzlerin könnten neidisch auf den deutschen Reichskanzler Bismarck sein, denn überall in Deutschland stehen zur Erinnerung an ihn Türme, bis zu 45 Meter hoch, nur ihm gewidmet, auch heute noch. Die meisten wurden in den  Jahren nach seinem Tod gebaut. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Kaiserreichs stand der Reichsgründer in der hohen Gunst der Bevölkerung, der Lehrer und Heimatvereinen. Es entstand ein Bismarckkult bereits gleich nach der Reichsgründung 1871, der sich nach der Entlassung Bismarcks durch Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1890 verstärkte. Die Idee, Bismarcktürme zu errichten, geht auf bismarckverrückte Studenten zurück, die einen Architekturwettbewerb ausschrieben und die Gemeinden aufforderten, so einen Turm zu bauen.

Es entstanden über 240 Bismarck-Türme zwischen Görlitz an der polnischen Grenze und Aachen im Westen, zwischen Lütjenburg im hohen Norden und Konstanz. Sie dienten als Aussichtstürme und auf 167 von ihnen wurden Feuerungsanlagen angebracht, weil man am Geburtstag Bismarcks und an anderen bestimmten Tagen deutschlandweit alle gemeinsam befeuern wollte. Allerdings kam keine Einigung darüber zustande. Die Turm-Initiatoren zerstritten sich. Im Zweiten Weltkrieg wurden viele dieser Denkmale und Türme abgebaut (Metallsammlung) oder durch Kriegseinwirkungen zerstört.

Bismarck-Türme nicht mehr im Bewusstsein der Nation

Obwohl es heute noch 146 solcher Türme in Deutschland gibt, sind die Kolosse kaum noch im Bewusstsein der Nation. Bis Mitte der 1980er-Jahre existierte nicht mal ein Verzeichnis. Die Türme wurden schlichtweg vergessen. Matthias Scholz augenzwinkernd im „Zeit-Magazin“ vom 8. November 2012: „Bismarcks Geheimnis: Er war undemokratisch genug, um jemanden auf die Idee zu bringen, ihm können solche Türme gefallen. Aber nicht so undemokratisch, dass man hinterher die Türme wieder abreißen musste.“ Überall entstanden damals Bismarck-Komitees und -Denkmale. Bismarckdenkmale gab und gibt es auch in Frankreich, Polen, Tschechien und Russland sowie in den ehemaligen deutschen Kolonien. Da wollten auch die Dorstener nicht zurückstehen und planten 1909 ein Bismarck-Denkmal. Treibende Kraft war Dr. Josef Wiedenhöfer, seit 1905 Schulleiter des Gymnasium Petrinum und Vorsitzender des Dorstener Vereins für Orts- und Heimatkunde, gemeinsam mit dem Fabrikanten Heinrich Schürholz und dem Justizrat Ferdinand Jungeblodt. 3.000 Mark waren bereits gesammelt, es wurde ein Bismarck-Verein gegründet und 1915 sollte das „Fürst-Bismarck-Denkmal der Gemeinden Dorsten und Herrlichkeit Lembeck“ eingeweiht werden. Die 160 Mitglieder stockten durch Ihre Beiträge die Bausumme 1912 auf etwa 6.000 Mark auf und der Verein beschloss, einen hölzernen Bismarck-Turm zu bauen.

Turm ist Schulprojekt am Gymnasium Petrinum

Der Dorstener hölzerne Bismarckturm auf dem Freudenberg hatte mit den meisten anderen, die massiv aus Stein gebaut worden waren, nur den Namen gemeinsam. Die „Dorstener Volkszeitung“ kündigte im Oktober 1913 die Eröffnung für den 19. Oktober an. Das Gymnasium Petrinum beschreibt auf ihrer Website den Turm:

„Auf einem quadratischen Betonsockel erhob sich ein 16 m hoher hölzerner Aussichtsturm. Über eine Treppe war die breite Aussichtsplattform des viergeschossigen Turmes erreichbar. Hinweise auf Bismarck waren am Turm nicht vorhanden.“

Die Turmbauer und Beteiligten, darunter auch der Dorstener Kriegerverein, suchten sich als Datum der Einweihung die 100-jährige Wiederkehr der Völkerschlacht von Leipzig (1813) aus. In seiner Ansprache betonte Heinrich Schürholz, dass dieser Holzturm nur ein Provisorium sei. Später solle ein wuchtiger Bismarck-Turm sowie ein Volks- und Jugendpark entstehen. Doch daraus wurde nichts. Die Ersatzabteilung des Feld-Artillerie-Regiments Nr. 7 in Wesel benutzte den hölzernen Aussichtsturm im Ersten Weltkrieg als Flugwache. 1920, also vor 100 Jahren, wurde er abgebrochen. Das Gymnasium Petrinum forscht weiter und will wissen, wo der Turm genau gestanden hatte und wer Fotos zur Verfügung stellen kann. Ein Bismarck-Denkmal verblieb bis heute in Dorsten: die Bimarckstraße. – Heute werden die Bismarck-Türme von Esoterikern als Phänomene betrachtet. Geomanten sehen in den in ganz Deutschland verstreuten Türmen eine bewusste geomantische Linien-Vernetzung. In der weiteren Umgebung stehen noch Bismarck-Türme bzw. -Säulen u. a. in Essen (20 m), Mülheim (40 m), Velbert, Wuppertal, Vieren, Bochum (45 m) und Hagen. – Das Foto zeigt den später errichteten Feuerturm.

________________________________________________________________

Quellen: Sieglinde Seele, „Lexikon der Bismarck-Denkmäler“. – Website des Gymnasium Petrinum und die dort angegebenen weiterführenden Quellen.
Dieser Beitrag wurde unter Denkmale, Heimatgeschichte, Spurensuche, Zurückgeblättert abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Ein Kommentar zu Zurückgeblättert: Bismarck-Turm – Das hölzerne Bauwerk am Freudenberg wurde vor 100 Jahren abgerissen. Es stand nur sieben Jahre lang

  1. Ulrich W. Abts sagt:

    In Krefeld auf dem Hülser Berg hat ebenfalls ein hölzerner Bismarckturm gestanden, der im 1. WK verfallen ist. Kürzlich wurde ein Foto des Holzgestells gefunden.
    Bitte antworten, ich habe noch eine wichtige Frage und weitere Anmerkungen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert