Fronleichnam: Ein katholischer Feiertag mit merkwürdigem Namen – Nazis behinderten die Prozessionen von St. Agatha und der Pfarrer rügte die „schamlose Kleidung“ der Frauen

Fronleichnamsprozession von St. Agatha am Marktplatz 1938; im Bild der Agatha-Chor

Von Wolf Stegemann

9. Juni 2017. – Fronleichnam ist einer der wichtigsten katholischen Feiertage im Jahr und zudem ein in ganz Deutschland gesetzlicher. Begangen wird er alljährlich am Donnerstag nach dem Dreifaltigkeitssonntag, dem Sonntag nach Pfingsten. Abhängig von den Osterfeiertagen fällt er zwischen den 21. Mai und den 24. Juni. In diesem Jahr auf den nächsten Donnerstag (15. Juni). Auch wenn der Tag für die katholische Kirche ein wichtiger Tag ist, so gehört Fronleichnam sicher zu den katholischen Feiertagen, deren Hintergrund am wenigsten bekannt ist, auch nicht allen Katholiken, und schon gar nicht die Namensdeutung, wie die Katholische Presse-Agentur (KNA) schreibt. Das Fest hat wohl den merkwürdigsten Namen aller kirchlichen Festtage.

Gefeiert wird das „Hochfest des Leibes und Blutes Jesu Christi“ – und dafür steht auch der ungewöhnliche Name, denn im Althochdeutschen steht „fron“ für „Herr“ und „lichnam“ für „Leib“. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Hostie: auf den ersten Blick nur eine kleine unscheinbare Oblate – doch für gläubige Katholiken wird sie durch die Wandlung im Gottesdienst zum echten „Leib Christi“. Der Festtag entstand, weil im Jahr 1209 eine Nonne in Belgien in den Himmel starrte und auf der Mondscheibe einen schwarzen Fleck sah. Da sei ihr dann Christus erschienen und habe ihr gesagt, dass der Mond das Kirchenjahr symbolisiere und der schwarze Fleck ein fehlendes Fest zu Ehren des Altsakraments sei. Das machte die Runde. 37 Jahre später wurde das von dem erschienenen Jesus angemahnte fehlende Fest im Bistum Lüttich (Liège) eingeführt. Nun wurde auch der Papst im Rom darauf aufmerksam und noch mal 18 Jahre später erklärte Urban IV., der zuvor Erzdiakon in Lüttich war, den festgelegten Tag zum allgemeinen kirchlichen Fest und 1317 wurde das Fronleichnamsfest unter Papst Johannes XIII endgültig den Christen weltweit verordnet. In manchen Gegenden entstanden so die Fronleichnamsprozessionen, die sich bis heute gehalten haben.

Belgische Besatzung verbot das Schmücken mit nationalen Fahnen

Pfarrer Ludwig Heming

Die Prozessionen an diesem Tag wurden mit großem kirchlichen Pomp begangen. Mit geschmückten Straßenaltären, mit Fahnen und Blumen. Viele hundert Gläubige nahmen an den Prozessionen durch die geschmückten Straßen mit Gesang und Gebeten teil, so auch in Dorsten. Überliefert sind die Fronleichnamsprozessionen mit Eintragungen in der Agatha-Chronik, die Pfarrer Ludwig Heming 1913 angefangen hatte und nach seinem Tod 1942 von seinem Nachfolger Franz Westhoff bis 1951 weitergeführt wurden. Diese Eintragungen sind eigentlich recht dürftig, doch sie teilen auch mit, dass es in politisch angespannten Zeiten auch Probleme gegeben hat. Und in den kirchenfeindlichen nationalsozialistischen Jahren wurde 1939 der Fronleichnam-Staatsfeiertag abgeschafft.
Probleme gab es im Jahr 1924, als Dorsten von belgischen Truppen besetzt war. Ludwig Heming schrieb unter dem 19. Juni: „Fronleichnamsfest. Die Belgier haben die Abhaltung der Prozession gestattet, nur dürfen keine nationalen Fahnen gehisst werden. Professor Dr. Brüser hatte bei seinem Schmuck ein nationales Fähnchen verwandt. Infolgedessen hatte er viele Unannehmlichkeiten mit den Belgiern. Nachher wurde die Sache auf gütige Weise beigelegt.“ Über die Art der Probleme steht nichts in der Chronik.

Pfarrer regte sich über die „schamlose Kleidung“ der Frauen auf

Ein Jahr später, die Belgier waren immer noch da, regte sich Pfarrer Ludwig Heming über die Kleidung der Frauen und Mädchen in der Fronleichnamsprozession auf. Unter dem 11. Juni 1925 steht: „In diesem Jahr haben wir zum ersten Mal die Frauen und Jungfrauen gebeten, die Prozession in geziemender, ehrbarer Kleidung mitzumachen. Seit einigen Jahren waren nämlich Moden aufgekommen, die wirklich unehrbar waren: Kurze Kleider, tief ausgeschnittene Blusen, ärmellose etc. Bei der Prozession habe ich einige Mädchen wegen ihrer schamlosen Kleidung scharf gerügt.“ – Heute regt diese Eintragung und die Sichtweise des Pfarrers auf die Kleidung der Frauen und Mädchen in seiner  Agatha-Gemeinde zum Schmunzeln an.

Starke Beteiligung der „Männerwelt“ an den Prozessionen

Prozession mit Altar am Marktplatz

Jahrelang gab es daraufhin keine Eintragungen mehr über die Fronleichnamsprozessionen. Sicherlich sind sie zur Zufriedenheit des Pfarrers gut gelaufen, sonst hätte er sicherlich seinen Unmut geäußert. Erst 1934, ein Jahr nach der Machtergreifung Hitlers, schrieb er wieder einen Eintrag. Unter dem 31. Mai steht: „Bei der Prozession war eine Beteiligung wie nie zuvor, besonders seitens der Männerwelt.“ Er wird doch wohl die Frauen mit seiner Kleiderordnung nicht abgeschreckt haben? Heming schrieb weiter: „Während der Prozession war das herrlichste Sommerwetter.“ – Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Fronleichnamsprozession von vielen als Demonstration ihres Glaubens gegen die nationalsozialistische Weltanschauung und die Diktatur verstanden.
Im Juni 1935 verhaftete die Gestapo an mehreren Tagen vor und nach Fronleichnam etliche Angehörige der „Barmherzigen Brüder“, welche die Krankenanstalt Maria Lindenhof betreuten, wegen angeblicher sittlicher Verfehlungen. Ihnen wurde später der Prozess gemacht. In dieser angespannten Situation fiel die Fronleichnamsprozession am 20. Juni aus. Nicht wegen der Verhaftungen, sondern weil an diesem Tag das Wetter nicht mitmachte: „Wegen andauernden Regens musste zum großen Leidwesen der Gläubigen die Fronleichnamsprozession ausfallen. Es regnete den ganzen Tag in Strömen. Dafür wurde nachmittags 4 Uhr in der Kirche eine eucharistische Prozession mit viermaligem Segen gehalten. Das Gotteshaus war dicht besetzt.“

Der Pfarrer kanzelte den Polizeidiener ab und wollte den Chef sprechen

Prozession mit Kaplan B. van Heyden 1937

Ein Jahr darauf gab es im Vorfeld der Prozession Probleme mit den städtischen NS-Behörden. Ein Polizeidiener erschien beim Pfarrer und teilte ihm im Auftrag des Polizeichefs Dreppenstädt mit, dass der Prozessionsweg verlegt werden und der Altar seinen Platz ändern müsse. Pfarrer Heming schrieb in seine Chronik, wie er den Polizeidiener abkanzelte: „Bestellen Sie dem Polizeimeister, bei solch einschneidenden Veränderungen von Einrichtungen, die seit Jahrhunderten bestanden haben, schickt man keinen Unterbeamten, sondern er selbst oder der Bürgermeister möge kommen, um mit mir darüber zu sprechen.“ Zwei Tage später kam dann der Bürgermeister. Es wurde ein anderer Standplatz für den Altar gefunden. Doch durften öffentliche Gebäude für die Prozessionen nicht mehr geschmückt werden. Die Teilnahme von Beamten wurde weiterhin gestattet. Sie durften aber nicht offiziell, sondern als Privatpersonen an der Prozession teilnehmen. „Somit werden also in Zukunft bei der Fronleichnamsprozession Bürgermeister, Magistrat und Stadtverordnete (jetzt Stadträte) nicht mehr wie seit Jahrhunderten hinter dem Allerheiligsten einhergehen.“

Kinder und Erwachsene haben verlernt, war die Prozessionen bedeuten

1937 fand die Prozession am 27. Mai statt. „Sie wies eine Teilnahme auf wie kaum je zuvor. Nach Mitteilung der Polizei durften dabei die Anwohner der Straßen in kirchlichen Farben flaggen.“ Am 16. Juni des nächsten Jahres beteiligten sich rund 1000 Männer. Dazu der Pfarrer: „Es war ein herrliches Glaubensbekenntnis. Das war sicher ein stiller, aber wirksamer Protest des gläubigen katholischen Volkes gegen so viele Verbote und gegen die immer deutlicher zu Tage tretende Zurückdrängung des religiösen Lebens aus der Öffentlichkeit. Weil kirchliche Fahnen an den Häusern nicht mehr gezeigt werden durften, war die Ausschmückung der Straßen, durch die die Prozessionen zogen, besonders prächtig.“

Pfarrer Franz Westhoff

1939 wurde der bis dahin staatlich anerkannte Fronleichnams-Feiertag aufgehoben. „Die Kinder der Volks- und höheren Schulen mussten zum Unterricht, die Beamten zu ihrem Dienst. Sie konnten deshalb an der Prozession nicht teilnehmen. Trotzdem nahm die Prozession einen erhebenden Verlauf. Die Messdiener-Dienste wurden durch Theologen aus dem Franziskanerkloster versehen.“ Pfarrer Ludwig Heming starb 1942. Sein Nachfolger Franz Westhoff schrieb nicht so ausführlich wie sein Vorgänger. Am 11. Juni 1944 fand keine Prozession durch Dorsten statt, sondern ein viermaliger „stark besuchter sakramentaler Umgang um die Kirche.“ Die nächste Eintragung stammt aus dem Jahr 1946: „Nach Meinung der alten (Prozessions-)Ordner muss viel mehr Ordnung herrschen, während Pater Guardian [Franziskaner] und der Pastor [der Chronist selbst] sich über die gute Ordnung freuen.“ Die Frage einer geregelten Ordnung des Prozessionszugs kam auch ein Jahr später wieder auf. „Es wird viele über Unordnung gesprochen und geklagt. Kinder und Erwachsene haben verlernt, was Fronleichnamsprozession bedeutet.“

Bürgmeister Paul Schürholz tadelte die Organisation der Prozession

RA Beisenkötter (i.) und BM Schürholz; Foto: W. Schürholz

Am 27. Mai 1948 zog die Prozession über den Wall, die Feldhauser Straße, den alten Friedhof, die Gladbecker Straße, die Lessingstraße, die Kirchhellener Allee, die Schillerstraße, den Alten Postweg, die Clemens-August-Straße zum Krankenhaus, über den Wall zurück zur Agathakirche. Altäre waren am alten Friedhof, an der Lessingstraße, am Amtsgericht und am Krankenhaus. „Die Prozession hatte eine reiche Beteiligung. Ordnung und Andacht waren im Gegensatz zu 1947 gut.“ Das war sie auch am 16. Mai 1949 und am 8. Juni 1950, wo ein großer Altar am Markt vor dem Alten Rathaus stand. – 1951 endet die Agatha-Chronik. In diesem Jahr gab es an der Fonleichnamsprozession Kritik, als die Kirchenleute mit Bürgermeister Paul Schürholz und anderen in der Wirtschaft Ekel beim Bier zusammen saßen. In der Chronik steht: „Bürgermeister Schürholz war mit vielem sehr unzufrieden. Hoffentlich wird es nächstes Jahr besser glücken. Es war keine Musik da. Der Bürgermeister machte die Kritik so scharf und stark, dass Rechtsanwalt Beisenkötter nur durch sein gemütliches ,Na, dazu Prösterken!’ die betretende Stimmung wieder heben konnte. Er hat dafür vom Bürgermeister einen Rüffel bekommen…“

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