Von Wolf Stegemann
Der Lippe-Polder-Park war eine 2015 eingerichtete Kooperation der Stadt Dorsten und des Lippeverbands. Das künstlerische Konzept stammte von der Rotterdamer Künstlergruppe Observatorium und der Dorstenerin Marion Taube, Kopf des Kreativlabels „Freitaube“, die bereits 2013 mit dem „Dorstener Anstiftungssommer“ und dem „Fundbüro für Stadtideen“ von sich Reden machte. Finanziert wurde das Projekt durch Fördermittel für die „Soziale Stadt Hervest“ (Achse Hervest-Altstadt), durch das Förderprogramm „Gemeinsam an der Lippe“ des NRW-Städtebauministeriums. Die Stadt unterstützte vornehmlich mit Arbeitsleistungen. Die Sparkasse Vest war mit 20.000 Euro Hauptsponsor.
Polder liegen unter dem Wasserspiegel angrenzender Gewässer
„Stadtpark für einen Sommer“ – Auf einer Wiese am Kanal zwischen Schleuse und Stadt wurde ein Ort der Kommunikation geschaffen. Dort konnte man sich „in einem freien Raum der Natur“ bewegen, sich mit Freunden treffen, lesen, sich mit anderen unterhalten oder einfach Natur und Geschehen auf sich wirken lassen. Es lasen Menschen ihre Gedichte vor, andere hörten sie, manche machten Musik, der andere zuhörten, wieder andere spielten Theater, viele sahen zu. „Hier findet die Sehnsucht ein Zuhause auf Zeit, so nah am Wasser, im Grünen, mitten in der Stadt“, hieß es. Dieser Sehnsuchtsort war zehn Minuten mit dem Rad vom Altstadt-Marktplatz entfernt und auch in kurzer Zeit vom Zechenplatz Fürst Leopold, entlang der Gleise, über die alten Brücken zu erreichen. Marion Taube:
„Es ist ein offener Versuch für eine neue Wahrnehmung von Stadtleben. Es ist die Natur der Kunst, die den Menschen lebendig und frei macht, es ist die weite Natur, die ihn friedlich und gutmütig stimmt. Deshalb ist die Verwandlung der bisherigen Ackerfläche aus reiner Monokultur in Artenvielfalt auch eine Verneigung vor Pflanzen und Tieren in der Gemeinschaft aller Lebewesen.“
Namenspate des Lippe-Polder-Parks sind „Polder“ – so werden in der Wasserwirtschaft Flächen bezeichnet, die tiefer liegen als der Wasserspiegel der angrenzenden Gewässer. Dazu zählt sowohl das Land, das die Holländer durch Eindeichen über die Jahrhunderte der Nordsee abringen konnten. Dazu zählen aber auch durch Bergbaueinwirkung abgesunkene Flächen an Emscher und Lippe, die zum Schutz vor Hochwasser dauerhaft eingedeicht werden müssen. Der Lippeverband kümmert sich um den Schutz der Polder in der Region in besonderem Maße. 38 Prozent des Emschergebiets und 14 Prozent des Lippeverbandsgebiets sind Polderflächen. Sie sind allerdings innerhalb des weitläufigen Lippe-Einzugsgebiets sehr unterschiedlich verteilt: In der ehemaligen Bergbaustadt Dorsten beträgt der Anteil der Polder am Stadtgebiet immerhin rund 73 Prozent.
„Stadtpark für einen Sommer“ wurde bestens angenommen
Von Juli bis September wurde der „Stadtpark für einen Sommer“ und 90 Einzelveranstaltungen rund 50.000-mal besucht. „Der Lippe-Polder-Park wurde so zu einem magischen Ort und die Lippe zu einem „Fluss des Lebens“. Es gab viele solcher visionären Redensarten rund um das Projekt. Eine weniger lyrische Betrachtung hatte Dr. Simone Timmerhaus, beim Lippeverband als Abteilungsleiterin zuständig für die Vermittlungsprojekte, um ihre Zufriedenheit mit dem „Poldering“ (Marion Taubes ursprünglicher Begriff) in den Wiesen zum Ausdruck zu bringen: „Wir konnten den Besuchern auch die Bedeutung der wasserwirtschaftlichen Kernaufgaben des Lippeverbandes vermitteln. Der Lippe-Polder-Park passte daher gut zu unseren wasserwirtschaftlichen Aktivitäten.“ Michael Klein titelte seinen Eröffnungsbericht des Lippe-Polder-Parks in der „Dorstener Zeitung“ anatomisch wie liebevoll zuneigend gemeint:„Das neue Herz von Dorsten“.
Fast täglich gaben sich in den Sommermonaten Literaten und Musiker, Engagierte und Eigenwillige, Kreative und Kulturbeflissene, Tubabläser und Theaterspieler, Vereine und Vortragende, Suchende und Findende ein Stelldichein. Der eine ging, der andere kam. Für die noch bis vor zehn Jahren in solch kreativem Zusammenspiel ungeübte Stadt floss dieses gemischte Kulturprogramm – eingebettet zwischen bunten Blumenwiesen und würzigen Pflanzen – dahin wie links die Lippe und rechts der Kanal. Ein für Dorsten regionales Highlight. Was Wunder, dass der Bürgermeister auf Wiederholung drängte. Ob bei spontanem Kultur-Tun ein Remake gelingen wird? Die Erwartungen sind hochgeschraubt. Besser wäre, die „Freitaube“ Marion ließe sich neue Ideen einfallen.
Blockflöten, Irish Folk, Lyrik und Lippesagen, Meditation und Rabatz
Im Mittelpunkt und als Austragungsort stand mitten in der Wiese der knapp 400 Meter große Ringdeich-Pavillon, eine offene Holzkonstruktion, in der die Künstler – welcher Sparte auch immer – sich ihrem Publikum stellten. Die Liste ist lang. Darunter finden sich Namen und Gruppen aus dem ganzen Ruhrgebiet: die Revier-Brassband Rabatz“ und die Band Pasaje Universo mit lateinamerikanischen Rhythmen, die Kinder-Kreativ-Werkstatt und das Consol-Theater Gelsenkirchen, Rainer Kleinespels SuffiMeditation und die KlangWerkStatt mit Ludwig Kuckartz, die Dorstener PommesSoko mit „Lauschangriff“ und der Dorstener Kunstverein mit dem Projekt „In Bildern erzählen – Finden, Zeichnen, Fotografieren, Skizzieren“. Der schwedische SingerSongwriter Johannes Vidén war hier wie drei Tage lang die Schweizer Schriftstellerin Sarah Hildebrandt, die sich in der „Schreibhütte“ einrichtete. Rainer Zuschlag las Lyrik und Dirk Sondermann Lippesagen. Es gab eine „literarische Brotzeit“ und ein „Literatur-Picknick“. Die Jagdhornbläser der Altstadt spielten ebenso wie Ralph Weihrauch mit dem Akkordeon Irish Folksongs und das Blockflötenensemble „Holzstücke“ – und viele andere hatten ebenfalls was zu sagen, zu spielen, zu singen und irgendwas anderes zu tun.
Ein Raum zum Reden, Zuhören und ein friedlicher Garten
Ein technisch-kunstvoller Programmpunkt war die Aktion der Löschzüge der Freiwilligen Feuerwehren Altstadt und Hervest I zusammen mit dem THW. Bereits 2013 hatte Marion Taube während ihrer „Anstiftung zur Stadtentdeckung“ mit Hilfe der Feuerwehr und des THW die „Illuminierung der Wallanlagen am Westwall“ publikumswirksam in Szene gesetzt. Im Lippe-Polder-Park pumpten die Löschzüge in hohem Bogen Lippewasser ins Gelände, das als beleuchtete Kunstaktion im Polder-Park zusammenfloss, was wiederum die Erler Künstlerin Ann Katrin Böckenhoff als „Der dritte Fluss“ zu einer poetischen Grachtenmeile verwandelte. Wie Nero seinerzeit das brennende Rom besungen haben soll, so dichtete und komponierte Kai Kläsener ein Lied über den Lippe-Polder-Park, das er „Unten am Fluss“ nannte:
Es ist allgegenwärtig,
das leichte Gefühl.
Die Alten und Jungen
Haben heute ein Ziel.
Ein Raum zum Reden,,
ein friedlicher Garten,
der besondere Ort,
in den Sommer zu starten.
Vom Kunstwerk zum Menschenwerk – auch umgekehrt!
Was blieb von diesem Sommer unten am Fluss? Die Aufbauten wurden zerlegt und weggeräumt, die Blumenwiese gemäht und ordinärer Mais wird dort wieder wachsen, wie er vorher dort wuchs. Nichts wird mehr zu sehen sein, als dieses Maisfeld. An der Ellerbruchstraße in Hervest, wo eine Aussichtsterrasse gebaut wurde, die den Namen „Deichkrone“ erhielt, und das mit ihr verbundene Kunstobjekt „Polderklicks“ (künstlerisch gestaltete Motorblockkästen) von Brigitte Stüwe und Christa Zenzen bleiben erhalten. Doch wertvoller als alles Greifbare, das geblieben ist, sind die Erinnerungen an diesen Sommer des Jahres 2015, an das spontane Zusammenspiel von Kultur und Sozialem sowie die Erfahrungen und Erkenntnisse, die jeder für sich selbst in individueller Intensität gemacht und gewonnen hat. Und was nahm Marion Taube mit in den Herbst? Der „Dorstener Zeitung“, die das Polder-Projekt journalistisch intensiv begleitete, sagte sie: „In dieser Zeit von nur zehn Wochen ist aus dem Kunstwerk ein Menschenwerk geworden. Das ist der große Zauber, der sich mit diesem Projekt verbinden wird.“
Wenn es um die Attraktivität einer Stadt geht, sind Standortfaktoren ein wichtiger Gradmesser. Kultur gehört gleichberechtigt dazu. Das haben aber nicht viele Verwaltungen, Stadträte und örtliche Parteien verinnerlicht. In der Regel führt die Kultur ein Schattendasein. Inhaltlich und materiell. Dass eine bestimmte (Ober-)Schicht Kultur nachfragt, ist dazu kein Widerspruch. Der Kulturbegriff muss viel umfassender interpretiert werden. Da hat auch die Lippestadt einen großen Nachholbedarf. Der “Lippe-Polder-Park” mit seinen 70-Tage-Angeboten hat gezeigt, was unter “Kultur für alle” zu verstehen ist.
Ach ja – “Anna” meldet sich anonym zu Wort und zeigt, zu welch wenig origineller Polemik offensichtliche Verständnisdefizite doch führen können.
(Nicht nur) mein Fazit: Der Lippe-Polder-Park war ein voller Erfolg! Die Idee und ihre Umsetzung macht den Dorstener Sommer 2015 unvergesslich. Danke und Gratulation an alle, die dazu beigetragen haben!
Anna, das war ein Stadtpark auf Zeit, keine Art Sommerfestival oder Bregenzer Festspiele – klar also, dass er den Bürgern offenstand und jeder seinen Senf zum Besten geben konnte. Das bringt es mit sich, dass die Künstler eben lokal bis regional angesiedelt waren, nicht nur geographisch, sondern auch qualitativ. Mit Ausnahme von André Dekkers und Sarah Hildebrandt, die sind ja eine andere Liga, darüber besteht kein Zweifel. Mit mehr Geld hätte man sicher Pink Floyd kommen lassen können, oder mit Jeff Koons ein paar Aktionen mit Flüchtlingskindern machen können – aber Dorsten ist eben nicht Sindelfingen.
Ganz nett und unnötig. Kann nicht erkennen, dass es sich um etwas Bereicherndes, Weiterführendes handelt. 1b Künstler applaudieren sich selbst. Profilierungsneurosen werden gepflegt. Wenn schon Kunst, dann richtige bitte. Kunsthandwerk gibts genug.