Caroline Prinzessin von Sachsen-Coburg und Gotha saß 1956 im Dorstener Amtsgerichtsgefängnis

Hochzeit der Prinzessin Calma von Sachsen-Coburg und Gotha mit dem Grafen zu Castell-Rüdenhausen 1931 inmitten der ehemals regierenden herzoglichen Familie

Von Wolf Stegemann

Sie war sicher die prominenteste Gefangene, die jemals im Dorstener Amtsgerichtsgefängnis  eingesessen hatte – auch wenn dies am 27. November 1956 nur einen Tag und eine Nacht lang gewesen war. Vielleicht auch etwas länger. Die Gefangene war herzoglichen Geblüts mit königlicher und kaiserlicher Verwandtschaft und hieß Caroline Mathilde (genannt Calma) Prinzessin von Sachsen-Coburg und Gotha. Ihre Eltern waren der bis 1918 noch regierende Herzog Eduard I. von Sachsen-Coburg und Gotha und die Prinzessin Viktoria Adelheid von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg. Die Familie war mit allen Königshäusern Europas verwandt – von Großbritannien bis Russland, von Schweden über Dänemark bis Bulgarien.

Die damals bereits dreimal verheiratet gewesene 44-jährige Prinzessin wurde zusammen mit ihrem Freund, dem Ingenieur Alexander Glasow, am 27. November 1956 in Marl verhaftet – sie in einer Klinik, in der sie lag, er in einem Hotel. Beide waren nicht zum Prozess nach Coburg in Oberfranken gekommen. Daher wurden Haftbefehle erlassen. Vor dem Schöffengericht hatten sich beide wegen Beihilfe zu einem Verbrechen nach § 218 (Abtreibung) zu verantworten. Die Prinzessin war zusätzlich wegen Anstiftung und Glasow wegen Unzucht mit Abhängigen angeklagt. Besonders schwer war der Fall, weil das Mädchen, an dem der Abtreibungseingriff vorgenommen worden war, verstarb. Mitangeklagt waren noch zwei junge Mädchen wegen Beihilfe, die allerdings freigesprochen wurden.

Calma Prinzessin von Sachsen-Coburg und Gotha

Abtreibungsfall als Verbrechen vor Gericht

Das Leben der 1912 auf Schloss Callenberg (Kreis Coburg) geborenen Prinzessin verlief nicht ohne Unstetigkeit. Die erste Ehe schloss sie 1931 pompös mit Friedrich Wolfgang Graf zu Castell-Rüdenhausen (geschieden 1938), die zweite 1938 in Berlin mit dem berühmten Piloten und Flugkapitän Max Schnirring, mit dem sie ab 1938 für kurze Zeit in Chile lebte, und der bei einem Testflug 1944 abstürzte. In dritter Ehe war sie von 1946 bis 1947 mit Karl Otto Andrée aus Coburg verheiratet. Prinzessin Calma starb 1983 in Erlangen und ist in der Familiengrablege im Wildpark von Schloss Callenberg bestattet.

Dem Ingenieur Alexander Glasow, der seine Frau und fünf Kinder verlassen hatte, und jetzt mit der Prinzessin „verlobt“  war, wurde von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, mit zwei minderjährigen Mädchen, die in seiner Fabrik arbeiteten, eine als Haustochter, 1950 bzw. 1953 „Unzucht mit Abhängigen“ getrieben, Letztere geschwängert, sie danach zur damals noch als Verbrechen geltenden unerlaubten Abtreibung überredet zu haben. Und hier kommt die Prinzessin ins Spiel. Das 1953 geschwängerte Mädchen, gerade 15 Jahre alt, holte sich bei ihr „mütterlichen“ Rat. Um ihren Freund Glasow, der ihr wohl die Ehe versprochen hatte, nicht zu verlieren und diese Ehe dann nicht mit einem unehelichen Kind zu belasten, half sie, indem sie einen ihrer Söhne fälschlicherweise als Vater angab und das Kind zu deren Verwandten in die Ostzone schickte. Dort sollte der unerlaubte Eingriff vorgenommen werden. Die Prinzessin übernahm die Kosten („Ich wollte keinen Skandal“). Das Mädchen kam aus der Ostzone nicht mehr zurück. Es verstarb am Heiligabend 1954 an den Folgen des unerlaubten Eingriffs in Chemnitz. Wer den Eingriff vorgenommen hatte, konnte nicht festgestellt werden.

Kuss galt 1956 als „unzüchtige Handlung“: neun bzw. sieben Monate pro Kuss

Die Staatsanwalt hielt es für erwiesen, dass die beiden Angeklagten „sich eines fortgesetzten Verbrechens der Beihilfe zu einem schweren Verbrechen der Abtreibung schuldig“ gemacht hätten. Für Glasow beantragte der Anklagevertreter folgende Einzelstrafen: für die „unzüchtige Handlung eines Kusses“, den er dem einen minderjährigen Mädchen gab, neun Monate Gefängnis, für den Kuss, dem er dem anderen Mädchen gab, das verstorben war,  sieben Monate Gefängnis und für die Beihilfehandlung zur Abtreibung sechs Monate Gefängnis. Das ergab eine Gesamtstrafe von 14 Monaten. Für die Prinzessin beantragte der Staatsanwalt ein Jahr Gefängnis, was sie „mit Tränen in den Augen“ vernahm. Die Verteidiger der Angeklagten forderten Freisprüche und Aufhebung der Haftbefehle.

Monatelange Gefängnisstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt

Am 21. Dezember 1956 sprach das Schöffengericht Coburg das Urteil. „Beide sind schuldig eines gemeinschaftlich begangenen fortgesetzten Verbrechens der Beihilfe zu einem Verbrechen nach § 218, Glasow in Tatmehrheit mit einem Vergehen der Nötigung.“ Prinzessin Calma von Sachsen-Coburg und Gotha erhielt sechs Monate und Alexander Glasow fünf Monate und eine Woche Gefängnis. In den übrigen Anklagen wurde Glasow mangels ausreichenden Beweises freigesprochen. Die Strafen wurden zur Bewährung ausgesetzt. Die Prinzessin musste zudem 1.000 DM Geldbuße zugunsten eines Kindergartens zahlen. Sie durfte dies in Raten von 50 DM tun. Die Haftbefehle wurden aufgehoben, die Untersuchungshaft allerdings, auch jene zwei Tage im Dorstener Amtsgerichtsgefängnis, wegen Selbstverschuldung nicht angerechnet.

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Quellen: Auskunft Stadtarchiv Coburg (2012). – NEUE PRESSE Coburg vom 27. November, 18. und 22. Dezember 1956. – Auskunft Redaktion NEUE PRESSE Coburg (2012).
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