Der Bürgermeister – wie er im Rathaus funktioniert! Er hat eine zuvor nicht gekannte Machtfülle, mit der die Stadt ihre Finanzprobleme eigentlich effizienter bewältigen sollte

Von Wolf Stegemann

1. September 2012. – Wer die Lokalzeitungen aufschlägt, kann an manchen Tagen den Bürgermeister gleich zweimal, manchmal auch dreimal pro Seite auf Fotos betrachten, wie er sich zu allem Möglichen in Stellung bringt, auch bei solchen Anlässen, die  mit ihm gar nichts oder wenig zu tun haben. Seinem Konterfei mannigfach im Blätterwald zu begegnen gehört zu seinem und der Zeitung Geschäft. In Dorsten hat dies seit den 1970er-Jahren Tradition. Jeder Verein, der singt oder malt, jeder Kleingärtner, der den größten Kürbis hat, jeder Angler, der den schwersten Fisch fängt, und jeder Kaninchenfreund, dessen langohriger Belgier am fettesten ist, bittet bei der Präsentation seiner Superlative den Bürgermeister dazu, wissend, dass er dann bestimmt in die Zeitung kommt. Und der Bürgermeister macht es, weil auch er weiß, dass er dann qua Zeitung wieder mal leutselig bei seinen Bürgern eine gute Figur machen kann. Einer der dieses Handwerk gut beherrschte, war Bürgermeister Heinz Ritter – andere standen ihm nicht nach. Und auch der amtierende Bürgermeister versteht dieses Geschäft vorzüglich. Der lächelnde Bürgermeister (was gibt es eigentlich noch zu Lachen in dieser Stadt?) in der Zeitung soll aber nicht Thema dieses Artikels sein, wenn dies auch am Rande ein wenig damit zu tun hat. Es geht um die geballte politische Macht des Bürgermeisters, der aufgrund der neuen Gemeindeordnung zugleich Chef der Verwaltung und des Stadtrates ist, also der Exekutive und der Legislative zugleich. Was haben wir doch in der Schule gelernt? Demokratie stützt sich auf die strikte Trennung der Säulen Exekutive, Legislative und Judikative. Letztere können wir hier vernachlässigen, aber die Vermengung der beiden ersten bereiten so manchem Bürger Sorge. Denn auch eine Gemeinde ist ein demokratisches Wesen – oder sollte es sein. Zugespitzt kann die Frage gestellt werden, wie ist es mit der Demokratie im Rathaus bestellt?

Alle Macht dem Bürgermeister – nicht den Räten

Als nach dem Krieg die Engländer das Verwaltungssystem in Nordrhein-Westfalen etablierten, wollten sie die Machtfülle des Hauptverwaltungsbeamten auf Grund der Erfahrungen in vorangegangener nationalsozialistischer Zeit splitten. Also richteten sie in den Rathäusern und Kreisen die so genannte Doppelspitze ein, bestehend aus dem Stadtdirektor, dem die Verwaltung unterstand (Exekutive), und dem Bürgermeister, der aus der Mitte des Rates (Legislative) gewählt wurde. Dieses System funktionierte Jahrzehnte lang gut, bis die CDU/FDP-Landespolitiker in Düsseldorf 1995 die beiden getrennten Ämter wieder zusammenführten, um durch einen gestärkten Bürgermeister den Gemeinden die Chance zu geben, die Probleme in den Gemeinden, vor allem die Finanzschwierigkeiten, durch eine Hauptperson, den Bürgermeister, „effizienter“ zu lösen. Der Spielraum des Bürgermeisters wurde 1999 noch erweitert, indem die Landesregierung ihn direkt von der Bevölkerung und unabhängig von den Ratswahlen von den Einwohnern wählen ließ. Diese Konstellation mag Bürgermeister dazu verleiten, den legislativen Stadtrat zum „exekutiven Zustimmungsgremium“ zu degradieren.

Die Machtstellung des Bürgermeisters gegenüber Rat und Bürgern, ganz gleich ob die Macht intellektuell oder weniger intellektuell, gekonnt oder laienhaft, erfolgreich oder mit Misserfolgen begleitet ausgeübt wird, bedeutet eine Einschränkung bislang geübter demokratischer Verfahrensregeln. Daher will die rot-grüne Regierung in Düsseldorf zumindest die getrennten Wahl von Stadtrat und Bürgermeister und die unterschiedlichen Amtszeiten demnächst  wieder zurücknehmen. Nicht aber schon bei der Wahl 2014.

Wie funktioniert der Bürgermeister im Rathaus?

Nach dem Gesetz zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung von 2007 ist Bürgermeister Lambert Lütkenhorst für alles verantwortlich, was die Verwaltung erarbeitet und entscheidet. Er ist nach Landesbeamtenrecht Vorgesetzter der Bediensteten; er entscheidet über das Personal. Der Rat kann nur noch über Personal in Führungsfunktionen Entscheidungen treffen – aber auch nicht alleine, denn es muss nach Möglichkeit ein Einvernehmen mit dem Bürgermeister hergestellt werden.  Den Rat hat er bei Entscheidungen zu beraten, ihm aber auch Rechenschaft zu geben über wichtige Verwaltungsentscheidungen. Er muss ihm auf Wunsch Akteneinsicht gewähren.

Bürgermeister kann Ratsbeschlüssen widersprechen

Nach der Gemeindeordnung (GO) hat der Bürgermeister das Recht, 1) die Geschäftsverteilung im Rathaus festzulegen, wobei der Rat die Geschäftskreise der Beigeordneten bestimmen darf. Dieses Recht des Rates ist allerdings begrenzt, da der Bürgermeister für diese Entscheidung hervorgehoben zuständig ist.  2) Im Rechtsverkehr wird der Rat vom Bürgermeister vertreten. 3) Der Bürgermeister kann mehrheitlich erwirkten Ratsbeschlüssen unter bestimmten Voraussetzungen „zum Wohl der Gemeinde“ widersprechen und sie beanstanden. Der Widerspruch hat dann aufschiebende Wirkung. Fasst der Rat seinen beanstandeten Beschluss erneut, muss der Bürgermeister ihn akzeptieren oder ihn der Rechtsaufsicht (Kommunalaufsichtsbehörde) zur Entscheidung melden.

Direkt und unabhängig vom Rat gewählt

Lambert Lütkenhorst ist als direkt gewählter Bürgermeister – mit eigener Wahl in den Rat  gewählt – nicht aber als Ratsmitglied sondern als Vorsitzender des Rates. Denn in der Gemeindeordnung (GO) steht: „Den Vorsitz im Rat führt der Bürgermeister.“ Zu seinen Leitungsaufgaben gehören 1) die Festsetzung der Tagesordnung des Rates, 2) die Einberufung des Rates, 3) die Eröffnung und Schließung der Sitzung, 4) die Verhandlungsleitung der Ratssitzung, 5) die Ausübung des Ordnungs- und des Hausrechts während der Ratssitzung 6) und die Unterzeichnung der Niederschrift über die Ratssitzung. – Mit diesen machtvollen und ratsunabhängigen Funktionen steuert der Bürgermeister das Geschehen im Rat.

Das Gesetz zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung vom 9. Oktober 2007 (GV.NRW.S.380) bestimmt den Bürgermeister zum „Ratsmitglied kraft Gesetzes“ (§ 40 Abs. 2 GO). In der Regel stimmt er über die Beschlüsse mit ab. Bei entsprechenden Anlässen (§ 40 Abs. 2 Satz 5 GO) ist er aber von der Abstimmung ausgeschlossen (Selbstorganisation des Rates und Fälle, die die Amtsführung der Bürgermeisters zum Gegenstand haben).

Jeden Anschein von Mauschelei vermeiden

Aus all diesen erwähnten Gegebenheiten muss der Rat in seiner Verantwortung gegenüber der höheren Verantwortlichkeit des Bürgermeisters seiner Pflicht nachkommen, das Handeln des Bürgermeisters verstärkt zu kontrollieren. In der Öffentlichkeit darf der Rat jeglichen Anschein von politischen Verabredungen zwischen Ratsfraktionen und Bürgermeister vermeiden. Verabredungen können leicht als „Mauschelei“, als „Stillhalteabkommen“ in dieser oder jener Frage gedeutet werden. Bürger fragen sich nämlich, wie beispielsweise eine menschenverachtende und gesetzwidrige Abschiebepraxis so lange durchgehalten und ein so hoher Schuldenberg im Verantwortungsbereich des Bürgermeisters aufgetürmt werden konnten. Mitglieder des Stadtrates sollten auch verstärkt darauf achten, dass der Bürgermeister zielorientiert mit den Problemen der Stadt umgeht und an Bodenhaftung und damit Vertrauen in der Bevölkerung nicht verliert.

Siehe auch abgelehnte Interview-Anfrage auf der Seite “Aktuelles”
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6 Kommentare zu Der Bürgermeister – wie er im Rathaus funktioniert! Er hat eine zuvor nicht gekannte Machtfülle, mit der die Stadt ihre Finanzprobleme eigentlich effizienter bewältigen sollte

  1. Simpel sagt:

    Zu dem Kommentar des Herrn Bürgermeisters: Da macht es sich der Herr L. aber einfach. Mein Gegenvorschlag an den Herrn Lütkenhorst: “Wer nicht fähig ist, seinen Posten als Bürgermeister vernünftig auszuführen, der soll sein Glück doch als Busfahrer versuchen!”
    Anmerkung der Redaktion: Gemeint ist der über Facebook gesendete Kommentar in unserer Seite “Aktuelles”

  2. M. Ch. Neuhaus sagt:

    Alle Achtung, da versteht jemand sein Geschäft! So plausibel, knapp formuliert und hieb- und stichfest wie der Autor dieses Artikels hat bisher wohl niemand die Dorstener (Finanz-)Lage analysiert. Gruselig, diese Stadt.

  3. Bürger sagt:

    Ein fundierter Bericht über die Situation dieser maroden Verwaltung und dem Chef des Bürgermeisteramtes. Unaufgeregt, sachlich fundiert, brillant geschrieben. Ein Meisterstück, dass dem Leser von “Dorsten transparent” vorbehalten bleibt, da unsere ach so aktuellen unabhängigen Käseblätter, genannt Lokalzeitung, da nicht mithalten können. Den Schreibern fehlt der kritische klare Blick, wie Herr Stegemann ihn hat. Und Kenntnisse der lokalen Situation kann man wahrscheinlich nicht voraussetzen bei den Lokalreportern. Bitte machen Sie so weiter. Zwei Schreiber mit Fach- und Sachkenntnis bringen Licht ins Dunkel der Dorstener Verwaltung.

  4. Borgmann sagt:

    Ein sehr guter Bericht. Am Mittwoch dem 19.09.2012 stand ein Bericht in der Dorstener Zeitung. In diesem Bericht kann die Stadt Dorsten wohl fällige Kostenrückzahlungen (870.000 Euro) aus benachbarten Kommunen nicht mehr einfordern kann, da verjährt. Da in Ihrem Bericht steht, dass der Bürgermeister für seine Verwaltung verantwortlich ist, gehe ich davon aus, das Herr Lütkenhorst für diese Summe selbst aufkommt. (Scherz beiseite). So ist es auf jedenfall im Geschäftsleben.

  5. marlon schwerthöffer sagt:

    Auch ein großes Lob von mir.
    Es ist beruhigend zu sehen, dass es kluge Köpfe gibt, die sich ernsthafte Gedanken machen und diese Misswirtschaft infrage stellen. Mit freundlichen Grüßen Marlon Schwerthöffer

  6. Josef Brüninghoff sagt:

    Wieder einmal ein toller Artikel. Großes Lob.
    Ich persönlich finde es für die Stadt Dorsten beschämend, dass die Ratsherren und Ratsfrauen der Stadt Dorsten ihrer Kontrollfunktion gegenüber dem Bürgermeisteramt nicht gerecht werden zu scheinen. Während die Problematik des Vorwurfs der “Mauschelei” inzwischen in weiten Teilen aus der Tagespresse und diversen lokalen Internet bzw. facebook Gruppe der Bügerschaft Diskussionstoff war, (siehe beispielhaft zum letzteren: <a href="https://www.facebook.com/welovedorsten?ref=ts&quot; Thread in der Chronik der Facebook Gruppe "we love dorsten"vom 03.09.2012), nehme ich dankend den Artikel an, da hieraus die viel tiefergehende Problematik der Machtzentrierung auf das Bürgermeisteramt klar wird.
    Mir ist es als Jurist und Bürger dieser Stadt unverständlich, wie die gesamte Verwaltung, aber insbesondere der Bürgermeister seinen Pflichten als Behördenleiter der Stadtverwaltung ganz offensichtlich über Jahre nicht nachkommt. Ich darf wegen der Streitereien der Stadt Dorsten mit einem Gastronom der Stadt auf den Begriff der “Besorgnis der Befangenheit” hinweisen, der insbesondere über § 21 VerwVfG schon längst hätte dazu führen müssen, dass sowohl bestimmte Positionen im Ordnungsamt hätten neu besetzt werden müssen, als auch der Bürgermeister selbst, der als Stadtspitze anlässlich eines von der DIA veranstalteten “Altstadtfestes” sich von der Bühne herunter dazu bemüßigt sah, die anwesenden Bürger dazu aufzurufen, “das Bier aussschließlich an den Ständen der Firma Interevent zu kaufen.”, sich hätte fragen müssen, ob er insgesamt noch als Behörde unparteiisch handeln kann.

    Um es klar zu sagen: eine Mitarbeiterin des Ordnungsamtes hat als Entscheidungsträgerin von Rechts wegen in der Gewerbeabteilung dieses Amtes nichts mehr zu suchen und ist in ihren eigenen Interesse in ein anders Amt zu versetzen, wenn Zweifel an der Unparteiischkeit bestehen können. Und diese Zweifel können bereits im Fall einer Freundschaft, einer Beziehung, eines Verlöbnisses bestehen und nicht erst ab dem Tag der Eheschließung gerade mit dem Geschäftsführer einer im wirtschafliche Wettberb mit anderen stehenden Firma, die sich seit Jahren als Event Ausrichterin der Stadtfeste betätigt.

    Ich gehe davon aus, dass dem Bürgermeister als Behörde aber auch den Ratsmitgliedern, wenn nicht gesunder Menschenverstand, dann doch – ob von der Stadt Dorsten bezahlter und beamteter Juristen- zumindest soweit rudimentäre Kenntnisse des Verwaltungsrecht zur Verfügung stehen sollten, dass hätte erkannt werden müssen, dass oben genannte Besorgnis nicht erst seit gestern besteht.

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