Bergbauschäden – Die Zeche ging, die Schäden bleiben: dicke Risse, abgesackte Flächen, klemmende Türen, Versumpfungen

Dicke Risse an Häusern und in der Landschaft

Von Wolf Stegemann

19. Januar 2016. – Solange es den intensiven Bergbau gab, wie auch in der Dorstener Region, solange gab es intensive Schäden an Häusern, Gärten, Straßen, Wäldern und Wasserläufen sowie Absackungen ganzer Gebiete. Der Bergbau ist gegangen. In Dorsten 2001. Nicht nur die Halden – in Altendorf-Ulfkotte die Hürfeld-Halde – erinnern an den verschwindenden Bergbau, es sind auch die Schäden, die er hinterlassen hat, und die, welche er immer wieder neu produziert. Die Erde bebt, wenn untertage die verlassenen Stollen einbrechen. Dann ziehen Risse durch Hauswände, innen wie außen, Türen und Fenster klemmen. Seit Januar 2015 sind in den folgenden 20 Monaten aus Dorsten 1226 Schadensmeldungen bei der Ruhrkohle AG (RAG) eingegangen. Schäden an Wohnhäusern. Bis sich die Erde untertage beruhigt haben wird, werden noch etliche Jahrzehnte ins Land gehen. So lange wird es auch Schäden geben.
Zu Zeiten, als der Bergbau gut saturiert durch staatliche Subventionen am Leben erhalten wurde, zeigte er sich bei Zahlung von Entschädigungen im Schadensfall oft knauserig. Wo sich der Bergbau nach Gesetz und Situation vor Entschädigungen drücken konnte, versuchte er es auch. Erinnert sei an den verstorbenen Rechtsanwalt Ax in Altendorf-Ulfkotte, durch dessen Garten hinterm Haus in den 1980er-Jahren plötzlich eine Abbruchkante verlief. Jahre benötigte der rechtlich versierte Mann, um ein Übereinkommen mit dem Bergbau zu finden. Andere Geschädigte, mit Gesetzen und Verordnungen nicht so bewandert, standen häufig auf verlorenem Posten gegen die oft wie eine Behörde auftretenden Gutachter des Bergbaus. Klagen von Dorstener Eigenheimbesitzern häuften sich in den 1980er- und 90er-Jahren.

Barloer Busch stellenweise um 10 Meter abgesackt – jetzt Sumpfstellen

Barloer Busch: Land unter!

Auch der Barloer Busch, Teil des Dorstener Stadtwaldes, ist gefährdet. Dort ist der Boden bis zu 10 Metern abgesackt. Damit liegt der Grundwasserspiegel über dem Bodenniveau. Als Folge bildeten und bilden sich dort Sümpfe. Die Ruhrkohle, die Stadt Dorsten und das zuständige Forstamt des Lippeverbands haben sich schon 2006 geeinigt, das Bodenniveau nicht anzuheben, stattdessen entschied man sich für eine dem sumpfigen Boden angepasste Bepflanzung und für ständige Entwässerungsarbeiten, damit der Wald nicht zu einem See wird. Der Wald ist mittlerweile mit Entwässerungsgräben durchzogen. Daher haben Bäume keinen Halt im Boden, kippen um und werden Totholz, das Insekten als Nistplatz dient und anderem Getier und Pilzen Lebensraum bietet. Gutachter müssen dann feststellen, ob dieser oder jener Baum auch tatsächlich aufgrund der Bergschäden umkippte. Denn der Bergbau muss der Stadt für tote Bäume entschädigen.

Einst mächtige überparteiliche „Kohlefraktion“ im Rat der Stadt Dorsten

Abbruchkante quer durch ein Feld

Unterstützung im Dorstener Rathaus war zwar zu erwarten, aber schwer zu bekommen, da in diesen Jahrzehnten Verwaltung und Rat vom Bergbau quasi „beherrscht“ waren. Im Rat gab es eine mächtige überparteiliche „Kohlefraktion“ von Stadträten, die sich auch so nannte, deren Arbeitgeber der Bergbau war. Und es gab zwei damals noch ehrenamtliche Bürgermeister, Hans Lampen (CDU) und Heinz Ritter, die ebenfalls beim Bergbau beschäftigt waren. Letzterer machte gegenüber der Presse kein Hehl daraus, dass er während seiner Amtszeit als Bürgermeister vom Bergbau freigestellt war und er sein Steiger-Gehalt  weiterhin bekam. Solche Gewichtungen und Regelungen gab es in etlichen  Bergbaustädten des Ruhrgebiets.

2009 Schlichtungsstelle beim Regionalverband Ruhr eingerichtet

Sogar Lebensgefahr!

Klagen bergbaugeschädigter Einwohner verhallten immer häufiger an der „heiligen Kuh“ Bergbau. Erst 2009, als die Schließung der Zechen bereits vollzogen bzw. in Sicht war, richtete das NRW-Wirtschaftsministerium eine Schlichtungsstelle ein. Sämtliche Klagekosten und Entschädigungen sollten nun von den Bergbau-Unternehmen übernommen werden. Geschädigte konnten ihre Anträge dort einreichen. Das Verfahren stärkte ihre Position. Bislang hatten viele den Gang vor die Gerichte wegen des erheblichen Kostenrisikos gescheut. Nun war es den  Geschädigten möglich, über die Schlichtungsstelle auch neutrale Sachverständige kostenlos in Anspruch nehmen. Wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) 2013 in Nordrhein-Westfalen meldete, konnten „viele Streitigkeiten über Bergbauschäden mittlerweile außergerichtlich beigelegt“ werden. Die beim Regionalverband Ruhr (RVR) eingerichtete Schlichtungsstelle Ruhr behandelte seit April 2009 rund 330 Streitfälle . In mehr als zwei Dritteln der Fälle habe sich der Bergbau außergerichtlich mit Hausbesitzern und Gewerbetreibenden geeinigt, teilte der RVR in Essen mit. Die Bergbau-Unternehmen hätten bislang mehr als 2,2 Millionen Euro für die Schäden gezahlt.

Auseinandersetzungen um Bergbauschäden oft außergerichtlich geklärt

Offensichtlich zeitigte dieses Schlichtungsverfahren nicht den gewünschten Erfolg. Denn die Klagen wurden lauter. Das lag daran, dass die gesetzlich vorgesehenen Gutachter, die feststellten, ob der Schaden überhaupt durch den Bergbau verursacht wurde und die Schadenssumme festlegten oder ablehnten, Mitarbeiter des Bergbaus und als solche parteiisch waren. Als sich in einem strittigen Fall in einem Haus Wandrisse zeigten und Fußböden hoben, verwies die RAG „mit freundlichem Glückauf“ auf mögliche andere Ursachen: Solche Schäden könnten schließlich auch durch unsachgemäßes Verlegen von Laminat entstehen, ließ das Unternehmen einen Hauseigentümer wissen. Mittlerweile gibt es viele Rechtsanwaltskanzleien im Ruhrgebiet, die sich darauf spezialisiert haben, Geschädigte in ihrer Auseinandersetzung mit dem Bergbau zu beraten und vor der Schiedsstelle oder dem Gericht zu vertreten.
Dass Gutachter im Dienst von Bergbau-Unternehmen standen, gab es nur im Bergbauland Nordrhein-Westfalen. In anderen Bundesländern überprüften unabhängige Gutachter Bergbauschäden. Spät aber dann doch noch zog NRW nach. Der Landtag in Düsseldorf befasste sich 2013 mit einer Gesetzesänderung. Demzufolge bekam der Geschädigte nun den „bergbaulich verursachten Schaden vollständig ersetzt“, berichtete das Magazin „Der Spiegel“. Der damals federführende Wirtschaftsminister Deun sagte: „Wir müssen jeglichen Anschein von Interessenkonflikten vermeiden.“ Die Unabhängigkeit und Neutralität der Gutachter wurde festgelegt, nachdem diese jahrzehntelang abhängig von ihrem Bergbau-Arbeitgeber waren. Es ging in NRW um jährlich mehrere zehntausend gemeldete Schadensfälle, meist Rissschäden an Häusern.

Altendorf-Ulfkotte – ein von Bergbauschäden heimgesuchter Stadtteil  

Protestmarsch von 200 Altendorfern gegen Bergschäden 2008; Foto: van Dyck

Unter Dorstens ländlichen Stadtteil Altendorf-Ulfkotte rumort es am wildesten. Die Altendorfer Straße, welche die Bochumer mit der Hervester Straße verbindet, führt an dem Stadtteil vorbei beziehungsweise durch den Stadtteil. In den 1970er- bis 80er-Jahren war diese Straße, die einst eben verlief, zu einer Berg- und Talbahn geworden. Seit 1979 sank die Dorfmitte von Altendorf-Ulfkotte etwa um 1,30 Meter; die extremen Bergsenkungen im Außenbereich liegen bei 11,50 Metern. Durch diese Bergsenkungen ist der Erdbach in der Dorfmitte in eine so genannte Sattellage geraten, das heißt, er fließt von seiner höchsten Stelle in beide Richtungen ab. Der Grundwasseranschluss reicht hier nicht mehr aus, damit der Bach dauerhaft Wasser führt. Der Bach wurde verlegt. Derzeit wird durch ein von der Ruhrkohle betriebenes Pumpwerk Wasser in den Lauf gepumpt, der nach der Verlegung der Haupttrasse keine Bedeutung mehr als Bach im eigentlichen Sinne hat. Im Juni 2016 diskutierte die Stadt mit den Altendorfern über die künftige Sanierung des Erdbachs.

Gründung einer Bürgerinitiative, um Rechtspositionen zu stärken

Die Altendorfer wehrten und wehren sich gegen Maßnahmen des Bergbaus, ohne gehört worden zu sein. Sie gründeten 2005 auf Initiative von Klaus Wagner den Verein „Bürgerinitiative zum Schutz vor Bergbau- und Umweltschäden in Altendorf-Ulfkotte“ (Bisbu). Der mittlerweile 600 Mitglieder starke Verein macht auf die Umweltschäden aufmerksam, die vom Bergbau in Altendorf-Ulfkotte verursacht werden und mahnt die sofortige Stilllegung bergbaulicher Aktivitäten unter Altendorf-Ulfkotte an.

Erschütterungen in Dorsten – 2006 Kleine Anfrage in Landtag NRW

Risse am Haus

Die immer wiederkehrenden Erdbeben in Dorsten und Umgebung, verursacht durch das Bergwerk Lippe, führten im Landtag am 31. August 2006 zu einer Kleinen Anfrage der Grünen (Nr. 917):

„In der Region um die Stadt Dorsten treten seit dem Jahr 2005 vermehrt Erdbeben auf. So gab es nach Angaben von betroffenen Bürgern von Februar bis Oktober 2005 insgesamt 136 Erderschütterungen. Seit Januar 2006 ist deren Zahl und Stärke weiter angestiegen. Die betroffenen Menschen in Dorsten und Marl-Polsum müssen rund um die Uhr Erdbeben mit einer Magnitude zwischen 1,1 und 2,2 auf der Richterskala ertragen – mit den entsprechenden gesundheitlichen Folgen und materiellen Schäden an Gebäuden und deren Einrichtung. Besonders betroffen sind die Stadtteile Altendorf-Ulfkotte, Stadtsfeld/Feldmark, Hervest und Marl-Polsum. Die Ursache dieser Erdbeben liegt offensichtlich im zurzeit laufenden Kohleabbau des Bergwerks Lippe in diesem Gebiet.“

Altendorfer Familie musste anderthalb Jahre im Container wohnen

Die bundesweit gelesene Tageszeitung „Die Welt“ berichtete über Klaus Wagner, den Initiator der 2005 gegründeten „Bürgerinitiative zum Schutz vor Bergbau- und Umweltschäden in Altendorf-Ulfkotte“ am 6. April 2008 u. a.:
„Klaus Wagner aus Altendorf-Ulfkotte bei Dorsten beispielsweise lebte mit seiner Familie anderthalb Jahre im Container. Monatelang zogen sich die Verhandlungen um die Sanierungskosten für sein Haus hin, das durch den Kohleabbau des Bergwerks Lippe unbewohnbar geworden war. Schließlich gab die RAG grünes Licht zur Erneuerung, die 150.000 Euro kostete. ,Jetzt verlangen sie 60.000 Euro Eigenbeteiligung von uns, weil durch die Sanierung der Wohnwert gestiegen ist’, berichtete der Eigentümer.“

Es wird noch lange in der Erde rumpeln, sagen die Experten

Aufgebrochene Straße

Auch in Kirchhellen und Grafenwald hinter Dorstens Stadtgrenze zu Gladbeck bzw. Bottrop rumpelt es noch in der Erde. Denn dort wird in 1150 Metern Tiefe von der Zeche „Prosper Haniel“ Steinkohle noch bis 2018 abgebaut. Die „Dorstener Zeitung“ schrieb am 11. August 2016: „Allein im Bereich des Bergwerkes Prosper Haniel hatten Hauseigentümer in 2015 der RAG 2101 Schäden gemeldet. Bis August 2016 seien es noch einmal 1822 Schadensmeldungen gewesen…“ Ende 2018 wird in Deutschland der Steinkohlenbergbau zu Ende gehen. Die Zechenschließungen im Ruhrgebiet: Zeche Walsum (Sommer 2008), Bergwerk Lippe (Dorsten „Fürst Leopold“, Dezember 2001), Bergwerk Ost, Hamm (2010), Bergwerk West, Dinslaken (2012), Auguste Victoria, Marl (2016). Als letzte Bergwerke schließen Ibbenbüren und Prosper Haniel, Bottrop/Oberhausen (2018). Die Ruhrkohle AG (RAG) übernimmt auch darüber hinaus Schadensregulierungen. Dafür hat sie entsprechende Rücklagen gebildet. Wie lange die RAG über 2018 hinaus gerade stehen wird, ist nicht bekannt. Fest steht allerdings, dass die gesetzliche Verjährungsfrist für Schadensantragsteller bei 30 Jahren liegt. – Wie gesagt; der Bergbau geht, die Schäden bleiben!

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Quellen: Kleine Anfrage im NRW-Landtag 917/2006. – „Ruhr Nachrichten“ Dortmund vom 26. Februar 2008. – „Die Welt“ vom 6. April 2008. – dpa-Meldung vom 12. Februar 2013. – „Dorstener Zeitung“ vom 11. August 2016.
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