Joseph Epping von der Hauptstraße in Holsterhausen war ab 1921 vier Jahre auf Wanderschaft im Vorderen Orient – Danach war er der „Hofschneider von Konstantinopel und Kairo“

J. Epping (r) und sein Freund sangen auch am Watzmann

Von Wolf Stegemann

Vor wenigen Wochen berichteten wir über die beschwerliche Reise des Holsterhausener Schreiners Anton Duve im Jahr 1902 über Italien und Griechenland nach Ägypten, Jerusalem, Konstantinopel und zurück. Bei dieser hier beschriebenen Reise rund 20 Jahre später machte sich der Holsterhausener Schneider Joseph Epping auf den gleichen Weg, ebenfalls nach Rom, Kairo, Jerusalem, Konstantinopel, nur mit bequemeren Reisemitteln, einem Fotoapparat und für ganze vier Jahre. Bevor Epping 1928 heiraten und sich als selbstständiger Schneidermeister mit einem Geschäft in der Holsterhausener Hauptstraße niederlassen sollte, zog es den 1898 geborenen Holsterhausener hinaus in die fremde Welt. Von 1921 bis 1925 war er auf Wanderschaft.

Leider fehlen Teile des Tagebuchs

Sein Wanderbuch des katholischen Gesellenvereins ist voller Stempel und Zeugnisse einer arbeitsamen und abenteuerlichen Wanderschaft im Norden Deutschlands, in Oberbayern und Österreich, entlang der Donau bis zum Schwarzen Meer nach Konstantinopel, mit dem Schiff nach Alexandrien in Ägypten, nach Kairo und ins Heilige Land nach Jerusalem, nach Beirut und zurück über Rom und Neapel nach Berlin, wo er bleiben wollte und dann doch zurück nach Holsterhausen ging.
Er führte ein Tagebuch, das leider nicht vollständig ist. Auf seinen Reisen hatte er eine Leica-Kamera dabei, mit der er viele schöne Aufnahmen machte, die ihn vor den Pyramiden in Ägypten zeigen oder vor dem Sultanspalast in Konstantinopel oder auf dem Kamel in der Wüste. Joseph Epping starb unerwartet mit 66 Jahren. Seine Tochter Paula Pfefferkorn behütet seinen Wanderschaftsnachlass – Fotoalbum, Reisepässe, Gesellenbuch und Reisetagebuch.

Die beiden Wandergesellen an der Sphinx in Gizeh

Mit Arbeitsbuch, Mandoline und einem Lied auf den Lippen

„Kleider machen Leute“ heißt die Novelle von Gottfried Keller, in der ein Schneiderlein durch seine selbst genähte prächtige Kleidung mehr scheint, als er in Wirklichkeit ist. Bei Joseph Epping war es umgekehrt. Er nähte für die anderen prächtige Kleider. In Holsterhausen spricht man von ihm als dem „Hofschneider von Konstantinopel und Kairo“, denn er hat auf seiner jahrelangen Wanderschaft als Schneider Kleider für die dortigen Hofbeamten genäht.

Mit dem Arbeitsbuch in der Tasche, der umgehängten Mandoline, stets ein Lächeln auf den Lippen und den Freund Theo an der Seite wanderte Joseph Epping vier Jahre lang durch die Puszta Ungarns und stapfte durch den Wüstensand Ägyptens.

Heißer Ritt Eppings von Jerusalem nach Bethlehem

Von Budapest zum Bosporus

Nach dem Ersten Weltkrieg gehen Joseph Epping und sein sauerländischer Freund Theo nach Solingen, wo beide Arbeit finden und dann auf Wanderschaft quer durch Deutschland nach Berlin gehen. Von dort zieht es die beiden per Pedes über Stettin, Lübeck, Erfurt, Bad Kissingen, Ingolstadt, Augsburg, München und Oberammergau nach Bad Reichenhall, wo sie für längere Zeit Arbeit finden. In der Freizeit machen sie fidele Musik bei Feiern im Gesellenverein und Ausflügen ins Gebirge.

Von Bad Reichenhall machen sie sich auf die Wanderschaft in das nahe Salzburg und nach Graz, über Maria Zell, und erreichen Mitte September 1921 Wien. Dort geraten sie am 27. September in eine „großköpfige Kundgebung gegen den Versailler Frieden“. Erst im Mai des folgenden Jahres machen sie sich wieder auf den Weg entlang der Donau. Ziel ist Konstantinopel. Am 9. Juni überqueren sie „mit einem kräftigen Heimatlied“ die österreichisch-ungarische Grenze bei Ödenburg. „Hier fallen uns schon sehr die rassigen ungarischen Typen auf und der Paprika wird häufiger“, schreibt Joseph Epping in sein Tagebuch. Er schwärmt nicht nur von den vielen Kirchen und Klöstern, vor allem auch vom opulenten Frühstück: „Brot, Speck, Paprika und Wein.“

Irgendwann besteigen die beiden einen Donaudampfer Richtung Budapest. Sie besichtigen die geschichtsträchtigen Kirchen, Klöster Brücken, Badeanstalten und den Prunk der Schlösser. „Am Abend aßen wir in einer original ungarischen Paprika-Kneipe.“ Mit dem rumänischen Dampfer „Donreista“, den sie am 8. Januar 1924 besteigen, erreichen sie nach 20 Stunden Fahrt Konstantinopel, das romantisch, fremd und abenteuerlich zugleich am Bosporus liegt.

Joseph Epping in der deutschen Kolonie von Konstantinopel

Leben und arbeiten in der deutschen Kolonie Konstantinopels

Der Holsterhausener Schneiderbursche schwärmt in seinem Tagebuch ausführlich über die Paläste und Moscheen in Konstantinopel. Vom deutschen Generalkonsulat erhalten die beiden Unterstützung und Essensmarken, denn es dauert ein paar Tage, bis sie Arbeit finden. Joseph Epping verkauft seinen Mantel. In der Stadt am Bosporus trifft er auf eine große deutsche Gemeinde, zu der viele ehemalige deutsche Soldaten gehören, die in türkischen Kriegsdiensten standen und nicht mehr nach Deutschland zurück können. Joseph Epping und sein Freund Theo schließen sich den Hamburger Zunftgesellen (Schwarze Brüder) an. So leben die beiden inmitten der deutschen Gemeinde am Goldenen Horn, machen Ausflüge und nehmen am geselligen und sozialen Leben teil, an Verlobungen und Hochzeiten.

Ein reich bebildertes Fotoalbum

Im Herbst schnüren die beiden Rastlosen ihr Bündel und machen sich wieder auf den Weg. Mit dem Dampfer „Merano“ wollen sie nach Ägypten. Über Rhodos, Zypern, Beirut und Jaffo kommen sie nach zwölftägiger Reise in Suez und Alexandrien an, wo sie das Weihnachtsfest verbringen. Auch dort finden sie Arbeit und schmieden Pläne, nach Palästina weiterzuziehen.  Hier endet das Reisetagebuch von Joseph Epping, weil es vollgeschrieben ist. Ein weiteres ist nicht mehr vorhanden, wohl aber ein voluminöses Fotoalbum, das in Bildern erzählt, wie es weiterging. In Kairo unternehmen die beiden Schneiderfreunde Ausflüge (so genannte „Sonntagsausflüge“) zu den Pyramiden oder anderen Sehenswürdigkeiten des alten Ägypten. Kamel oder Esel scheinen ihre obligatorischen Fortbewegungsmittel gewesen zu sein. Auch zeigen die Fotos ein reges geselliges Leben mit anderen Wanderburschen unter der arabischen Bevölkerung.

Als die beiden im Herbst 1925 nach Palästina wandern, besuchen sie neben dem muslimischen Tempelberg in Jerusalem die christlichen Pilgerstätten: die Via Dolorosa, die Grabeskirche, den Zionsberg und den Ölberg in Jerusalem, die Geburtskirche und die Milchgrotte in Bethlehem, sie sind in Nazareth und am See Genezareth. Über Rom kehren die beiden Wandergesellen nach Berlin zurück, das sie am 25. November 1925 erreichen. In Rom wird Epping vom Papst in Privataudienz empfangen.

Plakat der Vortragsreise Eppings und eines Freundes nach der Rückkehr 1925

Papst Pius XI. empfing den Holsterhausener in Privataudienz

Kurz vor der Rückkehr nach Berlin gab es für den Wanderburschen Joseph Epping einen großen Tag in Rom, wo er im Haus des Katholischen Gesellenvereins wohnte. Als Papst Pius XI. erfuhr, dass der Holsterhausener Schneidergeselle aus dem Heiligen Land kommend in der ewigen Stadt weilte, empfing er ihn am 22. November 1925 in Privataudienz unter der Pilger-Empfangsnummer 036690, gewährte ihm den Sakramentenempfang und den Jubiläumsablass. Geistlich gestärkt, erreicht Joseph Epping drei Tage später Berlin, wo er sich als Schneider selbstständig machen will. Vorher besucht er noch einmal seine Heimatgemeinde Holsterhausen an der Lippe. Hier wird er „belatschert“, doch auf heimischer Scholle selbstständig zu werden. Epping lässt sich überreden, bleibt in Holsterhausen, gründet eine Familie und hält nach dem Zweiten Weltkrieg vor seinen Kolping-Brüdern Vorträge über seine abenteuerliche Wandergesellen-Reise nach Ägypten und ins Heilige Land.

Der Holsterhausener Schneidergeselle hoch zu Kamel in der Wüste Ägyptens

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Ein Kommentar zu Joseph Epping von der Hauptstraße in Holsterhausen war ab 1921 vier Jahre auf Wanderschaft im Vorderen Orient – Danach war er der „Hofschneider von Konstantinopel und Kairo“

  1. Hüseyin sagt:

    Ein sehr schönes Porträt. Es macht Freude, es zu lesen. Es weckt die Reiselust. Ihre Seite ist toll.

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