Spionage macht derzeit Schlagzeilen. Spione und Überläufer gab es auch in Dorsten zu allen Zeiten im Dienste von Religion, Ideologien und Mächten – banal oder schwerwiegend, aber stets folgenreich

Von Wolf Stegemann

Was früher Männer in Ledermänteln und Schlapphüten machten, die an Hausecken standen oder sich in dunklen Hauseingängen herumdrückten, Männer und Frauen, die mit einer kleinen Minox-Kameras heimlich alles abfotografierten, was ihnen im Büro unterkam, und jener Günter Guillaume, der stets an der Seite Bundeskanzler Brandts war, nannte man Spione und ihr Handwerk, damals noch sehr manuell ausgeführt, Spionage. Heute geht und nennt man das anders: Abhören oder Abgreifen heißt es heute, ob nun das Handy der Bundeskanzlerin oder alle unsere Emails und Telefongespräche durch wen auch immer. Auch Vorratsdatenspeicherung heißt das verharmlosend. Was mit Letzterem gewollt wird, ist den meisten nicht deutlich, auf jeden Fall sind es Eingriffe in unsere Privatsphäre, die ausgespäht wird. Spione, um bei diesem Begriff zu bleiben, hat es immer schon gegeben. Auch in Dorsten. Allerdings fokussierten sie damals – im Gegensatz zu heute – ihre Neugierde auf bestimmte festumrissene Aufträge, wie jener Spion der protestantischen Hessen, den man in Dorsten den „kleinen Jakob“ nannte. Er hatte im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) den Auftrag, für die anrückenden feindlichen Hessen das katholische Dorsten auszuspionieren.

Die Hessen bauten Dorsten zur Festung aus

Hessen in Dorsten – Bürgermeister lag mit seiner Frau im Bett

Wie die Kanzlerin Angelika Merkel beim ungeschützten Umgang mit ihrem Handy einen fast sträflichen Leichtsinn zeigte, war es 1633 Dorstens Bürgermeister Johann Burich, der lieber mit seiner Frau im Bett lag, als auf die anrückenden Hessen zu achten. Die Überlieferung erzählt, dass der Bürgermeister am Karnevalsdienstag seine Hochzeit feierte, als ihm der Anmarsch des Feindes schriftlich gemeldet wurde. Burich behielt die Schreckensmeldung für sich, weil er seine Hochzeit nicht gefährden wollte. Und es soll einen Spion der Hessen gegeben haben, der schon seit Tagen als Bettler verkleidet in der Stadt war und den man den „kleinen Jakob“ nannte. Als dieser vernahm, dass der Bürgermeister keine Anstalten machte, die Stadt zu verteidigen, überredete er den Stadthauptmann Wolfhardt, dem Verhalten des Bürgermeisters zu folgen. So kamen die Hessen am nächsten Tag ohne Ahnung und Wissen der Bürgerschaft – und daher ohne wesentlichen Widerstand – in den Besitz der Stadt und holten den Bürgermeister am Aschermittwoch frühmorgens aus seinem Hochzeitsbett. Daraufhin begann eine achtjährige Besatzungszeit durch die Hessen. Der „kleine Jakob“ mag dadurch ungeschoren davongekommen zu sein.

Johann Klopris auf dem Scheiterhaufen verbrannt

Nicht so gut erging es 100 Jahre zuvor einem ehemaligen Mönch namens Johann Klopris aus Bottrop, der in Dorsten, das ein besonderes Bollwerk gegen die Reformation der Lutherischen war, auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Warum? Quellen geben Unterschiedliches an. Die einen sagen aus, dass er in Dorsten eine lutherische Gemeinde gründen wollte und Flugblätter verteilt hatte, andere geben Auskunft, dass Klopris mit einer Mönchskutte getarnt in die Stadt gekommen war, um zu spionieren. Wie auch immer: Klopris starb auf dem Scheiterhaufen.

Unter den französischen Flüchtlingen wimmelte es von Spionen

Als Westfalen, die Herrlichkeit und Dorsten während der französischen Revolutionszeit Ende des 18. Jahrhunderts nur so von französischen Flüchtlingen wimmelte, gab es darunter auch Spionen, wie aus Briefen aus dieser Zeit hervorgeht. Sie spionierten die Aufenthaltsorte prominenter adeliger Flüchtlinge aus und die militärische Situation, ob es Anzeichen für einen Kriegszug gegen das revolutionäre Frankreich gab. Beides meldeten sie an den Geheimdienst des Nationalkonvents in Paris.

Spione der rheinischen Separatisten in Holsterhausen kontrolliert

Als 1922/23 eine selbstständige, vom Deutschen Reich sich losgelöste und mit Frankreich kooperierende „Rheinische Republik“ mit Regierungssitz in Koblenz ausgerufen wurde, spionierten für diese Separatisten-Bewegung zwei Männer im Münsterland, welche die Stimmung nach einer Erweiterung der separatistischen Republik auskundschaften sollten, was ganz im Sinne Frankreich war. Die Beiden wurden in Holsterhausen kontrolliert und anderntags in Hervest-Dorsten festgenommen.

Graf von der Schulenburg als Separatist in französischen Diensten

Graf von der Schulenburg, der in Beuel wohnte, das heute zu Bonn gehört, war Anhänger jener „Rheinischen Republik“. Die beiden in Dorsten festgenommenen Männer waren seine „Handlanger“. Sie hießen Kress und Heinrich Schmunk. Gegen sie lag ein Haftbefehl in allen Polizeistellen des Kreises Recklinghausen vor.

Flugblatt warnt 1923 vor Spionen

Diese beiden Handlanger des Separatisten von der Schulenburg wurden am 5. November 1922 in Holsterhausen auf offener Straße ohne Beanstandungen kontrolliert. Sie konnten sich mit französischen Polizeiausweisen als Kriminalbeamte legitimieren. Erst als der kontrollierende Gendarm bei Dienstschluss im Kommissariat an der Pliesterbecker Straße sein Tagesprotokoll schrieb, fiel ihm vermutlich beim Lesen der an die Polizeistellen gesandte Warnung vor den beiden namentlich genannten Agenten auf, wen er da kontrolliert hatte. Denn er meldete dies sofort weiter. Amtsbürgermeister Kuckelmann ließ als Polizeibehörde sofort nach den beiden Kontrollierten aktiv fahnden. Schließlich wurden sie bereits am anderen Morgen um 9.30 Uhr von einer Fahrradstreife zwischen Holsterhausen und Hervest in ihrem Automobil – in Decken eingehüllt – schlafend vorgefunden. Kress und Schmunk ließen sich widerstandslos festnehmen. Kress trug eine Pistole bei sich und beide hatten ebenfalls die von den Franzosen ausgestellten Ausweise in den französischen Farben bei sich, die sie als Kriminalbeamte auswiesen. – Was weiter mit den beiden festgenommenen Personen und mit dem Graf Schulenburg geschah, ist nicht bekannt.

Bild-Zeitung vom 16. Mai 1907

Deutener Pfarrer stand 20 Jahre lang im Dienst der Stasi 

Die Zeiten und die politischen Koalitionen änderten sich, nicht aber das Spionage-Handwerk.  Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es eine neue Spionage-Spielwiese, die Bundesrepublik und DDR. Im kalten Krieg blühte das Handwerk so richtig auf. Spione in Ost und West stolperten im geteilten Berlin über die Füße der Berufskollegen. Nur am Rande dieses Geschehens war auch wieder Dorsten in den Schlagzeilen.

Der 1928 in Untersturz/Slowakei geborene und 2009 in Malchin/Mecklenburg verstorbene Josef Frindt, der von 1981 bis 2003 Pfarrer in Deuten war, geriet in die Mühlen der DDR-Staatssicherheit, die ihn zum Agenten machte. Der Pfarrer im kleinsten Stadtteil Dorstens war beliebt, unauffällig und 14 Stunden lang in der Woche Religionslehrer im Berufsschulbetrieb, was ihn mitunter aufrieb. 2003 ging er in den verdienten Ruhestand und übersiedelte 2007 zu seiner Schwester nach Malchin, zwei Jahre später starb er.

Pfarrer Josef Frindt (1928-2007) in Deuten (Pressebild 1987)

Bildzeitung informierte in gewöhnlich großer Überschrift

2007 lasen der geistliche Pensionär in Malchin und seine früheren Gemeindeglieder in Deuten in der „Bild“-Zeitung unter der reißerisch aufgemachten Überschrift: „Jetzt enthüllt! Stasi-Pfarrer aus NRW bespitzelte Kardinal Ratzinger“. Die Zeitung fand heraus, dass die Birthler-Behörde Akten gefunden hatte, in denen der Pfarrer seit 1972 als inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Stasi unter dem Decknamen „Erich Neu“ geführt und als „vertrauenswürdig“ eingestuft wurde. Mindestens 95 Berichte soll Frindt geliefert haben, darunter Informationen über den Hamburger Erzbischof Werner Thissen, der damals in der Diözese Münster tätig war. Auch der Papst wurde bespitzelt, als er noch Kardinal Ratzinger war. Die „Bild“-Zeitung berichtete weiter, dass der Sprecher des Bistums Münster dies alles bestätigt habe. Da die Ermittlungen des Bischofs von Münster in dieser Sache lediglich ergaben, dass von Pfarrer Frindt nichts „Bösartiges oder Schwerwiegendes“ an die Stasi berichtet wurde, stellte das Bistum, dem die Vorwürfe bereits seit den 1990er-Jahren bekannt waren, die Ermittlungen gegen den Pfarrer ein. Josef Frindt selbst erklärte gegenüber der „Bild“-Zeitung: „Ich habe meine Schwester in der DDR oft besucht. Diese Stasi-Unterlagen kann ich mir nicht erklären.“

Der renommierte Wissenschaftler Helmut Müller-Enbergs, der die Spionage-Arbeit der Stasi erforschte, hat in der Stasi-Unterlagen-Behörde in Berlin herausgefunden, dass Frindt über 20 Jahre lang für die DDR-Staatssicherheit tätig war und dafür als „Agent Neu“ Geld bekommen hatte. Nach den Stasiunterlagen war der Deutener Pfarrer mit allen Instrumentarien eines Top-Agenten ausgestattet. Eine im Nöttenkamp wohnende Gehilfin unterstützte ihn bei der Verfassung seiner Berichte, die von der Stasi als „bedeutungsvoll“ eingestuft wurden. Durch Anwerbungen von Agenten wollte die DDR-Staatssicherheit verstärkt die kirchlichen Bereiche in Münster ausspähen, um zu erfahren, wie sich die katholische Kirche hinsichtlich Polen und den Ostblock entwickelt. So forschten sie katholische und evangelische Studentengemeinden sowie einen kleinen christlichen Verlag aus und legten darüber so genannte „Feindobjekt-Akten“ an. Auch die Staatssekretärin Agnes Hürland-Büning aus Dorsten wurde ausgespäht.

Weitere IM-Agenten für die DDR

In Dorsten wohnte ein weiterer Agent, der – anders als der für Geld spionierende Frindt – weltanschaulich Kommunist war. Als „IM Pirol“ wurde er später Chef vom Dienst bei der Presseagentur Reuters und belieferte die Stasi mit Informationen aus erster Hand. Informationen über die chemischen Entwicklungen und Forschungsarbeiten gab ein CWH-Manager im benachbarten Marl an die Stasi weiter. Mal für 700 DM, ein andermal erhielt er 2.400 DM.

Manfred Bungert verprügelte CDU-Mann in Altendorf und floh in die DDR

Die DDR bot sich für Bundesbürger, die im Westen aus politischen Gründen mit Gesetzen brachen und daher in Bedrängnis kamen, als schützender Hort an, was die DDR-Behörden vor Kameras und in den Zeitungen politisch für sich und gegen die Bundesrepublik auszunutzen wussten. Unter den aus dem Westen Deutschlands in die DDR Geflohenen waren West-Geheimdienstler, RAF-Terroristen, Kommunisten und Politiker. Die Gründe waren schwerwiegend, aber auch banal. Die Folgen solcher Fluchten waren letztlich auch verbunden mit Preisgabe von Geheimnisse und Erlebtem, mit Schimpfkanonaden und propagandistischer Hetze auf die Bundesrepublik. Banal war auch der Grund der Flucht von Dorsten in die DDR des Holsterhauseners Manfred Bungert Anfang der 1960er-Jahre.

Hass-Tirade gegen die Bundesrepublik und frühere Arbeitskollegen

Vor dem Dorstener Schöffengericht sollte am 27. Mai 1960 ein Prozess gegen den ehemaligen „Falken“-Vorsitzenden Manfred Bungert aus Dorsten-Holsterhausen wegen gefährlicher Körperverletzung und Hausfriedensbruch stattfinden. Bungert wurde laut Anklageschrift vorgeworfen, im Dezember 1959 das Mitglied der Dorstener Jungen Union, Werner Kirstein (später CDU-Landtagsabgeordneter), auf einem Bauernhof in Altendorf-Ulfkotte aus einem PKW gerissen und so furchtbar geschlagen haben, dass dieser blutüberströmt zusammenbrach. Bungert, dessen Rüpeleien und Drohungen auf dem Waldsportplatz in Holsterhausen schon einmal vom Jugendausschuss der Stadt gerügt worden waren, entzog sich dieser Verhandlung, indem er in die DDR flüchtete und von dort „Hasstiraden gegen die Bundesrepublik und seine ehemaligen Arbeitskameraden in den Äther gebrüllt“ haben soll. So jedenfalls berichteten es die Dorstener „Ruhr Nachrichten“ am 28. Mai 1960.

Früherer Dorstener Petrinum-Schüler setzte sich in die DDR ab

Zeitungsartikel des SED-Zentralorgans „Neues Deutschland“ vom 18. August 1961. Die Zeitung berichtet stolz von der Flucht des Publizistikprofessors in die bessere DDR.

Einer der Prominentesten, der die Seiten gewechselt hat und mit Dorsten – wenn auch nur marginal, er besuchte das Gymnasium Petrinum  – zu tun hatte, war der berühmte Zeitungswissenschaftler Prof. Dr. Walter Hagemann, der an der Universität Münster lehrte. Hagemann  gilt als einer der wegweisenden Fachgelehrten bei der Erweiterung der älteren Zeitungswissenschaft zur allgemeinen Publizistikwissenschaft. Mit dem „Nestor der Zeitungswissenschaft“, Emil Dovifat, geriet Hagemann im Verlauf der 1950er-Jahre in deutliche politische und fachliche Konkurrenz.

Dubiose strafrechtliche Anklage wegen „ehebrecherischer Beziehung“

Aufgrund seines Engagements für die Bewegung „Kampf dem Atomtod“ und seiner Kontakte in die DDR wurde Hagemann 1959 durch den NRW-Kultusminister die Lehrbefugnis entzogen. Nach einem eher dubiosen Prozess vor dem NRW-Landesverwaltungsgericht (Verurteilung zu „endgültiger Entfernung aus dem Dienst“ und „Verlust jeglicher Pensionsansprüche“) und der drohenden strafrechtlichen Verfolgung aufgrund einer ehebrecherischen Beziehung“ mit einer Studentin flüchtete Hagemann am 14. April 1961 über Prag in die DDR, wo er noch bis 1964 eher pro forma einen Lehrstuhl für Politische Ökonomie an der Humboldt-Universität vertrat. Nach dem Mauerbau 1961 stellte die Presse der DDR ein Bekenntnis Hagemanns zu den Absperrungsmaßnahmen in Berlin heraus. Bei dieser Gelegenheit kennzeichnete Hagemann seinen politischen Weg als den Weg aus dem „Deutschland der Lüge in das Deutschland der Wahrheit“. 1962 trat er in die Ost-CDU ein. – Prof. Dr. Walter Hagemann starb 1964 an Herzversagen in Potsdam.

Fazit: Wenn es an der Wohnungstür klingelt, ob in Wulfen, Hervest, Holsterhausen oder Deuten, darf man weiterhin erst einmal durch den „Spion“ schauen und entscheiden, ob man die Tür öffnen will oder nicht!

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Quellen: Bild-Zeitung vom 16. Mai 2007. – Vortrag Müller-Enbergs am 14. April 2011 in Dorsten.

 

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