Wahlen im Kaiserreich, Weimar Republik, NS-Zeit und Bundesrepublik. Das demokratische Wahlrecht musste erst erkämpft werden – Ein Überblick

Veröffentlichung in der Dorstener Volkszeitung 1929

Von Wolf Stegemann

Vorbemerkung zu diesem Artikel und Nachbemerkung zur Wahl: Wieder einmal konnten wir vor wenigen Tagen unserer demokratischen Pflicht nachkommen und die Partei wählen, der wir entweder angehören, ihr nahe stehen, sie wählen, weil wir sie als das „kleinere Übel“ empfinden. Oder wir haben gar nicht gewählt. Alles dies ist in einer Demokratie legal und legitim. Das war nicht immer so. Es bedurfte einen langen Kampf vom Untertan zum Bürger. Doch mittlerweile darf man getrost der Meinung sein, die Bürger werden von diesen oder jenen der politischen Kaste wieder als Untertanen betrachtet.

Es ist das Recht, bei einer Wahl frei mit eigener Stimme mitzuwirken (aktives Wahlrecht) bzw. sich wählen zu lassen (passives Wahlrecht). Das aktive wie das passive Wahlrecht ist jeweils an bestimmte Bedingungen geknüpft, beispielsweise an ein Mindestalter, Wahlalter oder an die Staatsangehörigkeit. Das allgemeine gleiche Wahlrecht ist eine institutionelle Voraussetzung der Demokratie und hat sich erst allmählich und nach heftigen Kämpfen durchgesetzt. Wahlrecht, Parteien und Parlament sind in ihrer Entwicklung eng miteinander verbunden. Mit dem Übergang von den indirekten Wahlen zu den direkten Wahlen entstand ein näheres Verhältnis zwischen Wahlberechtigten und Abgeordneten bzw. Fraktionen.

Preußische Wahlverordnung von 1848

Die Nationalversammlung beschloss in dem Wahlgesetz vom 12. April 1849 gegen den Widerstand der Liberalen, dass das Volkshaus aus allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlen hervorgehen sollte. Für den Reichstag des Norddeutschen Bundes führte Bismarck das allgemeine, gleiche, unmittelbare und geheime Wahlrecht ein, das nach der Gründung des Reiches 1871 als Reichswahlrecht übernommen wurde.

Dreiklassenwahlrecht

Bis 1919 galt in Preußen das 1849/50 eingeführte indirekte Dreiklassenwahlrecht, demzufolge die Wähler zunächst die Wahlmänner, diese dann die Abgeordneten wählten. Die Wähler jeder Kommune wurden entsprechend der von ihnen gezahlten Steuern in drei Gruppen eingeteilt; auf jede dieser Gruppen entfiel ein Drittel der Gesamtsumme der erbrachten Steuern. Mithin wählten die wenigen am höchsten Besteuerten ebenso viele Wahlmänner wie die weit größere Zahl der zweiten Gruppe sowie die Masse der gering besteuerten dritten Gruppe. Bei den Reichstagswahlen kam auf 100.000 Einwohner ein Abgeordneter. Die Verstädterung in den industriellen Ballungszonen führte dadurch zu großen Verzerrungen, die vor allem zu Lasten der Arbeiterpartei gingen. 1906 lehnte der Reichstag einen Antrag der Sozialdemokraten ab, der für Landtagswahlen vorsah, dass geheime und direkte Wahlen vorgeschrieben werden. Dieser Antrag richtete sich vorwiegend gegen das Dreiklassenwahlrecht in Preußen. Trotz der ständigen Ablehnung des bestehenden Wahlrechts, das die Arbeiterklasse benachteiligte, was ein Staatssekretär im Innenministerium auch bestätigte, der die geringe Vertretung der Arbeiterschaft im preußischen Abgeordnetenhaus bedauerte, gelang es der SPD 1912, stärkste Fraktion im Reichstag zu werden. Vergeblich kämpften Sozialdemokraten und Liberale weiter um eine Änderung des Dreiklassenwahlrechts in Preußen. In seiner „Osterbotschaft“ vom 7. April 1917 hatte Kaiser Wilhelm II. die Beseitigung des ungerechten öffentlichen Dreiklassenwahlrechts in Aussicht gestellt. Es wurde aber erst durch die Revolution von 1918 abgeschafft. In der Weimarer Verfassung wurde das Verhältniswahlrecht für Reichstag und Länderparlamente festgeschrieben und Frauen konnten erstmals an der Reichstagswahl vom 19. Januar 1919 teilnehmen.

Wahlen zur Kaiserzeit in Dorsten

1913 fanden in Dorsten Ergänzungswahlen zur Stadtverordnetenversammlung statt. Grundlage dazu bildete § 23 der Städteverordnung für die Provinz Westfalen vom 19. März 1856. Wahlberechtigt waren nur Steuerzahler in den Kategorien I bis III. Zur III. Abteilung gehörten Eingesessene, die bis zu 247,60 Mark Steuern zahlten. Sie durften vormittags und nachmittags wählen. Zur II. Wählerabteilung gehörten die Dorstener, die Steuern von 248,50 Mark bis einschließlich 909,40 Mark bezahlten. Sie dürften nachmittags zwischen 16 und 18 Uhr wählen.  Die Wähler der I. Klasse, die mehr als 916,22 Mark Steuern zahlten, durften ihre Stimme am späten Nachmittag zwischen 18.15 und 19 Uhr abgeben. Allein aus den Uhrzeiten der Stimmabgabe lässt sich die Quantität der berechtigten Wähler erkennen. Nachgewählt wurde für die am Ende 1913 ausgeschiedenen Stadtverordneten. Aus der III. Klasse schieden Fabrikarbeiter Haarmann und Schneidermeister Krebs aus, aus der II. Stadtverordnetenklasse die Kaufleute Urban Drecker und Hermann Cirkel; aus der I. Klasse schieden Bankier F. J. de Weldige-Cremer und Brennerei-Besitzer Heinrich Hasselmann aus.

Wahlplakate-Wand 1932

Weimarer Republik

Nach der Weimarer Reichsverfassung aus dem Jahr 1919 wurde der Reichstag alle vier Jahre in allgemeiner, gleicher, geheimer und unmittelbarer Wahl nach dem Verhältniswahlrecht (ein Abgeordneter auf 60.000 Stimmen) gewählt. Der Reichstag beschloss die Reichsgesetze und war zuständig für den Beschluss über den Haushaltsplan, die Entscheidung über Krieg und Frieden sowie die Bestätigung einzelner Staatsverträge. Der Reichspräsident hatte das Recht zur Auflösung des Reichstags. Reichskanzler und/oder Reichsminister mussten zurücktreten, wenn der Reichstag ihnen das Vertrauen entzog.

Wahlzettel Dorsten 1929

Seit der Reichstagswahl vom 31. Juli 1932 war eine einheitliche politische Willensbildung im Reichstag nicht mehr möglich, weil die antagonistischen Flügelparteien NSDAP und KPD zusammen 318 von 608 Reichstagsabgeordneten stellten. Das Reichstagsgebäude wurde im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs teilweise zerstört. Nach mehreren Phasen des Wiederaufbaus in der Nachkriegszeit wurde es erst in den 1990er-Jahren grundlegend umgebaut und mit einer neuen Kuppel gekrönt. Seit 1999 ist es Sitz des Deutschen Bundestags. Nach dem Ersten Weltkrieg hieß das 1919 gewählte Parlament des Freistaates Sachsen Volkskammer. Mit der Verabschiedung der ersten demokratischen Verfassung Sachsens im Jahr 1920 kehrte man zur alten Bezeichnung Landtag zurück.

Wahlbeeinflussung in Dorsten 1932 und 1933

Die „Dorstener Volkszeitung“ meldete am 10. März 1932 unter dem Titel „Haltlose Gerüchte“ eine Wahlbeeinflussung in Hervest-Dorsten:

„Von gewissen Kreisen in Hervest-Dorsten wird geflissentlich das Gerüchte verbreitet, es stehe eine 11-prozentige Kürzung aller Renten bevor. Aus bester Quelle können wir mitteilen, dass dieses Gerücht völlig haltlos ist. Die Verbreiter haben die Absicht, die kommende Präsidentenwahl im Sinne der Rechtsradikalen zu beeinflussen. Dem gegenüber steht aber die Tatsache, dass durch Hindenburgs und Brünings Eingreifen den Rentenempfängern ihr kärgliches Einkommen überhaupt erhalten geblieben ist.“

Bei den Gerüchtestreuern handelte es sich um die NSDAP. In einem Artikel vom 9. Februar 1933  fungierte die „Dorstener Volkszeitung“ als direkter Wahlhelfer für das katholische Zentrum. Damit die Leser das Kreuz an der richtigen Stelle des Wahlzettels (Liste 4, Zentrum) anbrachten, gab die Zeitung Nachhilfeunterricht unter der Überschrift „Wie wird am Sonntag gewählt?“ Im Artikel steht u. a.:

 „Jeder Wähler erhält zuerst einen Zettel für die Kreis- und Provinziallandtagswahl. Mit diesen beiden Zetteln geht er in die Wahlzelle, kreuzt sie bei Liste 4 an, steckt sie in den gemeinsamen Umschlag und lässt sich dann einen neuen Umschlag für die Gemeinde- und Amtswahl geben. Mit diesen beiden Zetteln geht er in die andere Zelle, kreuzt wieder bei Liste 4 an und steckt die beiden Zettel in den Umschlag.“

Der Reichstag, das Marionetten-Parlament der Nazis

Drittes Reich – Wahlen schon, aber keine echten

Noch während der Zeit des Nationalsozialismus fanden Wahlen zum deutschen Reichstag statt. Reichstagspräsident war im gesamten Zeitraum Hermann Göring. Nachdem der Reichstag nach der Reichstagswahl 1933 mit Zweidrittelmehrheit das Ermächtigungsgesetz beschlossen und damit seine Gesetzgebungskompetenz an die Reichsregierung abgetreten hatte, wurde der Reichstag in jener Zeit wegen des Singens der Nationalhymne spöttisch als der „teuerste Gesangsverein Deutschlands“ bezeichnet. Da das eigentliche Reichstagsgebäude infolge des Brandanschlags der Nationalsozialisten unbrauchbar wurde, baute man den Aufführungssaal der dem Reichstag gegenüberliegenden Kroll-Oper in einen Sitzungssaal um.

Anlässe für Sitzungen des Reichstags waren im November 1933 die Reichstagswahl und Volksabstimmung (Austritt aus dem Völkerbund); 1934 Volksabstimmung (Reichspräsidentschaft) mit Zustimmung zu Adolf Hitler als Führer und Reichskanzler in seiner Person; 1936 Reichstagswahlen und Volksabstimmung (Ermächtigung der Rheinlandbesetzung); 1938 Reichstagswahl zum Großdeutschen Reichstag und Volksabstimmung (Zustimmung zum Anschluss Österreichs), Sudetendeutsche Ergänzungswahl. Bei diesen Wahlen stand jeweils nur die NSDAP zur Wahl, bei Volksabstimmungen gab es hingegen die theoretische Möglichkeit der Gegenstimme.

Gemäß den Regelungen des Weimarer Wahlgesetzes wurde für je 60.000 abgegebene Stimmen ein Sitz erteilt. Da, wie in Diktaturen üblich, die Wahlbeteiligung sehr hoch war, aber natürlich auch wegen der neuen zum Reich gehörenden Gebiete, nahm das Parlament bedeutend größere Ausmaße an als es noch 1933 hatte. Zuletzt gab es 855 Abgeordnete. Adolf Hitler war Abgeordneter Nr. 433, gewählt im Reichstagswahlkreis 24 Oberbayern-Schwaben. Im Januar 1943 verlängerte Hitler die Wahlperiode des Reichstags durch ein Gesetz bis zum 30. Januar 1947. Damit sollte vermieden werden, während des Krieges Wahlen abhalten zu müssen. Durch den Kriegsausgang kam es nicht mehr zum geplanten Urnengang. Insgesamt hatte der Reichstag in der Zeit des Nationalsozialismus nur 20 Sitzungen. Durch das Ermächtigungsgesetz von 1933 konnte auch die Reichsregierung Gesetze beschließen; die faktische Macht lag beim Reichskanzler Adolf Hitler.

FDP-Plakat der Nachkriegszeit gegen die SPD

Bundesrepublik Deutschland

Im Sommer 1945 wurde die Bildung demokratischer Parteien in den von Amerikanern und Briten besetzten Zonen zugelassen. Viele der Parteien gingen auf frühere Parteien zurück, die es schon während der Weimarer Republik gegeben hatte. Eine neu gegründete Partei war die CDU/CSU. Ihre geistigen Wurzeln hatte sie in der Zentrumspartei von vor 1933. Die Politik der Siegermächte führte dazu, dass Deutschland in einen West- und einen Ostteil geteilt wurde. Die erste Bundestagswahl galt nur für den Westteil Deutschlands, die Bundesrepublik Deutschland. Die drei westlichen Militärgouverneure beauftragten die Ministerpräsidenten der deutschen Länder (später Bundesländer) am 1. Juli 1948 eine Verfassung – das Grundgesetz – auszuarbeiten, das am 23. Mai 1949 verkündet wurde. Die ersten freien Wahlen waren im August.

Wahlplakat der KPD 1946

Es gab ein Wahlgesetz, das nur für diese erste Wahl galt. Insgesamt wurden 402 Abgeordnete gewählt. 60 Prozent der Abgeordneten kamen als Direktkandidaten der Wahlkreise in den Bundestag. Also direkt durch die Stimmen der Wähler auf dem Stimmzettel. Die restlichen 40 Prozent der Mandate wurden unter Anrechnung dieser Direktmandate über Landeslisten auf die Parteien verteilt. Um in den Bundestag einzuziehen, musste eine Partei in wenigstens einem Bundesland fünf Prozent der Stimmen erreichen oder lediglich einen Wahlkreis direkt gewinnen.

 

Wahlen in Dorsten                                                                                   Zunft- und Bürgermeister, Schöffen, Räte und Abgeordnete

Nach der Stadterhebung 1251 regelten der „liber statutorum oppidi Dursten“ die Wahl der Bürgermeister. Am Johannistag (27. Dezember) legten die beiden Bürgermeister Rechenschaft ab über das vergangene Jahr und gaben das Ergebnis der Rentmeisterrechnung vor der versammelten Bürgerschaft auf dem Marktplatz bekannt. Anschließend wählten die sieben Gilden auf dem Marktplatz je zwei Gildemeister, die sich danach ins Rathaus begaben, um den Rat zu wählen, der sich aus zwölf Schöffen und zwei Bürgermeistern zusammensetzte. Auch wurden zwei Rentmeister, zwei Kirchmeister, die Wein- und Fleischfestsetzer sowie der Armenprovisor neu- oder wiedergewählt. Für dieses Wahlverfahren bezahlte die Stadt an die Gildenmeister Geld sowie Kerzen und Wein. Anderntags wurden die neu gewählten Ratsmitglieder, die Bürgermeister und die anderen Amtsträger vereidigt. Am 12. Januar des darauf folgenden Jahres versammelten sich die Bürger erneut auf dem Marktplatz, wo die neuen Statuten verlesen wurden und die inzwischen vom Kurfürsten bestätigten Bürgermeister erläuterten ihre Vorstellungen für das neue Jahr. Danach wurden die Stadttore, Gräben, Mauern, Brücken und städtischen Gebäude unter Teilnahme der Rentmeister sowie des städtischen Maurer- und Zimmerermeisters inspiziert. Anschließend feierten alte wie neue Stadträte mit allen ab- und neu gewählten Amtsträgern.

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Quellen: Nach Wikipedia, Online-Enzyklopädie. – Fuchs/Raab „Wörterbuch Geschichte“, dtv 2001. – G. Meyer „Das parlamentarische Wahlrecht“ (1901). – P. F. Müller „Das Wahlsystem“ (1959).

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