Eine verschlungene Finanzierung des „Atlantis“-Freizeitbades und eine verschleiernde Informationspolitik der Stadt Dorsten verbreiteten die Legende vom kostenlosen Heimfall

Verwirrend und verschlungen; Foto: Dorsten-transparent

  • Nachträgliche Vorbemerkung: Mit diesem am 12. April 2013 veröffentlichten Artikel (und zwei weiteren) hatten wir plötzlich technische Probleme. Daher haben wir ihn mit einer neuen Überschrift, sonst aber unverändert, neu eingestellt in der Hoffnung, dadurch die technischen Problem gelöst zu haben. Die mittlerweile eingegangenen Kommentare haben wir dem Artikel angefügt. Wir bitten um Verständnis. – Redaktion, 21. Oktober 2013

Von Helmut Frenzel

12. April 2013. – Auf der Internetseite der Stadt Dorsten findet sich unter der Rubrik „Dorsten spart“ der Vorschlag eines Bürgers, die Stadt möge doch das Freizeitbad „Atlantis“ verkaufen. Die Stellungnahme der Verwaltung dazu vom 7. Juli 2010 beginnt so: „Nachdem […] das Bad durch Ausübung des Heimfallanspruchs aus dem Erbbaurechtsvertrag kostenlos auf die Stadt Dorsten überging ….“.

Dort steht wahrhaftig: kostenlos! Die Stadt Dorsten hätte das „Atlantis“ demnach geschenkt bekommen? Bis dahin war nur vom entschädigungslosen Heimfall die Rede. Jetzt also war er sogar kostenlos. Diese Falschbehauptung ist der Höhepunkt einer Legende, derzufolge das Freizeitbad ohne finanzielle Belastungen für die Stadt an diese gefallen wäre. Sie dient dem einzigen Zweck, die Öffentlichkeit darüber zu täuschen, dass das „Atlantis“ in Wahrheit  mit dem Geld der Stadt Dorsten und ihrer Bürger gebaut wurde.

Die Geschichte beginnt Ende der 1990er Jahre, als klar wurde, dass die Stadt eine Entscheidung über die Zukunft ihrer Bäder treffen musste. Das Hallenbad zwischen Lippe und Kanal, Baujahr 1972, und das Hallenbad in Wulfen, Baujahr 1983, waren veraltet und sanierungsbedürftig und auch das Freibad aus dem Jahr 1961 war heruntergekommen. Die Besucherzahlen gingen zurück. Immer  höhere Beträge mussten aus dem städtischen Haushalt zugeschossen werden, zuletzt 2,4 Millionen Mark jährlich, Tendenz steigend. Die Sanierungsmaßnahmen zur Erhaltung der Bäder wurden auf 20 Millionen Mark veranschlagt. Doch die Stadt konnte das Geld für eine Sanierung nicht aufbringen. Sie war schon seit Jahren nicht mehr in der Lage, ihren Haushalt auszugleichen. Die kommunale Finanzaufsicht hätte eine Finanzierung durch Kreditaufnahme nicht genehmigt. Und ein Neubau des Hallenbades zwischen Lippe und Kanal kam schon gar nicht in Frage.

Public Private Partnership sollte die Lösung aller Probleme bringen

Da entstand die Idee, das Problem in einer Public Private Partnership, einer Partnerschaft mit einem privaten Investor also, zu lösen. Der sollte ein neues Hallenbad bauen und auch als Betreiber tätig werden. Das Projekt wurde europaweit ausgeschrieben; die Wahl fiel auf Wolfgang Stichler. Der konnte ein vergleichbares Projekt vorweisen:  er hatte in einer Partnerschaft mit den Städten Neu-Ulm und Ulm gerade ein Freizeit- und Erlebnisbad errichtet und in Betrieb genommen und dieses Bad lief bestens. Mit ihm führte die Stadt Dorsten Gespräche, die Anfang 1999 in einer grundsätzlichen Einigung mündeten. Wolfgang Stichler würde ein Freizeit- und Erlebnisbad mit überregionaler Zugkraft bauen, außerdem den Weiterbetrieb des Hallenbades Wulfen übernehmen und das Freibad sanieren und betreiben. Im Gegenzug würde die Stadt einen jährlichen Zuschuss von 2 Millionen Mark leisten. Gegenüber den bisherigen Zuschüssen für die Bäder bedeutete dies eine Senkung um vierhunderttausend Mark jährlich; der Zuschuss würde in dieser Höhe festgeschrieben und damit Mehrbelastungen für die Stadt in der Zukunft ausgeschlossen. Da dies dem Ziel des Haushaltsausgleichs diente, erwartete man die Zustimmung der Finanzaufsicht. In seiner Sitzung am 28. April 1999 genehmigte der Rat daraufhin detaillierte Vertragsverhandlungen.

Am 8. September 1999 stimmte der Rat in nichtöffentlicher Sitzung dem Vertragswerk zu. Am Tag darauf wurde der Vertrag vom damaligen Bürgermeister Dr. Karl-Christian Zahn unterzeichnet. Vertragspartner war die Atlantis Freizeitpark Dorsten GmbH, die Wolfgang Stichler eigens für das Dorstener Projekt gegründet hatte. Das Finanzvolumen des „Bäderpakets“ wurde mit 39 Millionen Mark beziffert. Die Stadt stellte der GmbH ein Grundstück im Erbbaurecht zur Verfügung, das eine Laufzeit von 35 Jahren hatte. Dass diese Laufzeit auch für den städtischen Zuschuss von jährlich 2 Millionen Mark galt, ging in der Öffentlichkeit unter. Das Bäderpaket erschien wie die Quadratur des Kreises. Die Stadt bekam ein neues Freizeitbad und konnte gleichzeitig ihre bisherigen Zuschüsse für die Bäder senken. Außerdem war eine Perspektive für das Hallenbad in Wulfen und das Freibad gegeben.

Die Sache hatte nur einen Haken: der „Investor“ Wolfgang Stichler hatte gar kein Kapital. Um dem abzuhelfen, hatte er eine geniale Lösung gefunden, die er auch schon bei seinem Ulmer Projekt umgesetzt hatte. Im Jahresabschluss 2006 seiner Ulmer Freizeitpark GmbH heißt es nämlich:

„Die Finanzierung der Baukosten des Freizeitbades erfolgte durch den Verkauf des Betriebskostenzuschusses, den die Städte [Neu-Ulm und Ulm, d. Verf.] an Atlantis für den Betrieb von Freibad und Eislaufanlage auf der Grundlage des Erbbaurechtsvertrags zu bezahlen haben, an die Landesbank Baden-Württemberg. Der Grundbetrag des Betriebskostenzuschusses [die Höhe war indexiert, d. Verf.] wird von den Städten direkt an die Landesbank [Baden-Württemberg, d. Verf.] bezahlt […]“.

Das Atlantis-Logo mit stilisierten Wassertropfen. Es könnten auch Tränen sein; Foto Dorsten-transparent

Mit anderen Worten: Wolfgang Stichler hatte die Zuschusszusage zu Geld gemacht! Das war die Vorlage auch für das Dorstener Projekt. Es wird damit zugleich klar, warum an dem Termin der Unterzeichnung des Vertragswerks ein Vertreter der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) teilnahm. Nur die Dorstener Öffentlichkeit bekam von den Hintergründen nichts mit. Der Vertrag wurde vertraulich behandelt und so den Bürgern die Kenntnis wichtiger Einzelheiten vorenthalten.

Fünf Jahre später, als Bürgermeister Lambert Lütkenhorst nach der Insolvenz des Bades über die finanziellen Folgen des Heimfalls  des „Atlantis“ an die Stadt Rechenschaft ablegen musste, wurden erstmals Einzelheiten des Erbbaurechtsvertrags öffentlich. In einer Berichtsvorlage für den Rat vom 3. Dezember 2004 heißt es in einem Neun-Zeiler an hinterer Stelle wörtlich:

„Natürlich muss […] der jährliche Zuschuss der Stadt Dorsten an Atlantis in Höhe von 2 Mio. DM in die Betrachtung einbezogen werden. Dieser ist auch zukünftig an die Landesbank zu zahlen. Nach Auskunft der Landesbank hat die Landesbank für die Abtretung dieses Zuschussanspruchs gegenüber Atlantis einen Betrag von 28 Mio. DM ausgezahlt. Der Wert des städtischen Zuschusses (über 35 Jahre) entsprach mithin einem kapitalisierten Betrag von 28 Mio. DM. Die Stadt hat nach dieser zugegeben überschlägigen Betrachtung ca. 28 Mio. DM selber erbracht …“.

In der zeitlichen Distanz lässt sich nicht sicher klären, ob diese Information, die das Bad-Projekt in einem völlig neuen Licht erscheinen lässt, auch schon früher öffentlich gemacht wurde. Es spricht viel dafür, dass das nicht der Fall ist. Dieser wichtige Teil des Berichts des Bürgermeisters erregte auch jetzt keine Aufmerksamkeit und fand auch in der öffentlichen Diskussion vor und nach der Übernahme des Freizeitbades  im Zusammenhang mit der Insolvenz der Atlantis GmbH 2004 keinen Widerhall. Die Rede war immer nur von einem Zuschuss von 2 Millionen Mark (nach der Währungsumstellung 1 Million Euro), den die Stadt trotz der Insolvenz der Atlantis GmbH weiter an die Landesbank Baden-Württemberg zahlen müsse.

Der jährliche Zuschuss war ein Finanzierungsbeitrag der Stadt

Über die Rolle des städtischen Zuschusses schaffte die Berichtsvorlage jedenfalls Klarheit. Im Vorfeld der Vertragsunterzeichnung im September 1999 wurden die jährlichen Zahlungen an die Atlantis GmbH immer in einem Atemzug mit den Zuschüssen genannt, die die Stadt zum Ausgleich der Verluste im Bäderbereich leistete: hier handelte es sich um klassische Betriebskostenzuschüsse. Dadurch musste in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, dass der jährliche Zuschuss an die Atlantis GmbH des Wolfgang Stichler ebenfalls ein Zuschuss zu den Betriebskosten war. Das war aber nicht der Fall. Der Zuschuss an die Atlantis GmbH  war nicht an den Betrieb des neuen Freizeitbades gebunden, er war gänzlich unabhängig davon. Die Stadt hatte sich verpflichtet, 35 Jahre lang 2 Millionen Mark an die Atlantis GmbH zu zahlen, insgesamt 70 Millionen Mark (35,8 Millionen Euro) – ohne Zweckbindung. Das war die Voraussetzung für die Kapitalisierung und Auszahlung des Barwertes in einer Summe an die Atlantis GmbH durch die Landesbank Baden-Württemberg.  Der jährliche Zuschuss war damit nichts anderes als die Finanzierung des Neubaus durch die Stadt, die viel gerühmte Public Private Partnership eine Farce.

Im Bericht des Bürgermeisters wird der Eindruck erweckt, dass die Stadt erst im Zuge der Insolvenz von der Auszahlung der 28 Millionen an die Atlantis GmbH erfahren habe. Aber das ist mit Sicherheit nicht so. Die Stadt hatte sich in dem Vertragswerk verpflichtet, den jährlichen Zuschuss direkt an die Landesbank Baden-Württemberg zu zahlen. Man darf mutmaßen, dass die Stadt wusste, wofür die Zahlungen geleistet wurden, andernfalls müsste man annehmen, dass die Verhandlungsführer auf Seiten der Stadt naiv waren. Für das von der LBBW ausgereichte Darlehen lässt sich der Zinssatz mit 6,3 Prozent ermitteln. Das entspricht ziemlich genau dem Durchschnittszins für langfristige Festzinskredite im September 1999. Mit der Lösung war demnach kein Zinsvorteil verbunden.

Der Investor des „Atlantis“ war die Stadt Dorsten

Die Landesbank Baden-Württemberg zahlte also an die Atlantis Dorsten GmbH 28 Millionen Mark aus. Dieses Geld verwendete die  Atlantis GmbH für den Bad-Neubau. Den Kapitaldienst für das Darlehen leistete die Stadt Dorsten. Der Investor des Freizeitbades war damit niemand anderes als die Stadt Dorsten; sie war die wirtschaftliche Eigentümerin der Immobilie. Warum hat die Stadt nicht selbst das Darlehen aufgenommen und es an die Atlantis GmbH weitergereicht oder das Bad selbst gebaut? Die Antwort: Das hätte die Finanzaufsicht niemals genehmigt, denn die Stadt durfte wegen der Haushaltsprobleme keine neuen Schulden für freiwillige Aufgaben aufnehmen. Mit der genialen Konstruktion der Finanzierung wurde der Kapitaldienst der Öffentlichkeit gegenüber als Betriebskostenzuschuss verkleidet und der Finanzaufsicht als Sparmaßnahme zur Konsolidierung des städtischen Haushalts verkauft.

Gegenüber dem Ulmer Projekt hatte das Dorstener Vorhaben allerdings einen schweren Geburtsfehler. Während in Ulm die Baukosten offenbar zu hundert Prozent durch die Kapitalisierung der Zuschüsse der Städte Neu-Ulm und Ulm gedeckt waren, reichte der im Falle Dorstens ausgezahlte Betrag nur für 72 Prozent der bei Vertragsabschluss für das Bäderpaket veranschlagten Bausumme von 39 Millionen Mark. Wolfgang Stichler aber hatte nicht das Kapital, um die Finanzierungslücke von 11 Millionen Mark zu schließen. Im Gegenteil: es herrschte regelrechter Mangel an Kapital. Das ist der lokalen Presse in Ulm zu entnehmen, die mehrfach darüber berichtete, dass Wolfgang Stichler seinen Zusagen, Kapitaleinlagen in seine Ulmer Freizeitpark GmbH zu leisten, nicht nachkam und vertraglich vereinbarte Sanierungsmaßnahmen und Investitionen nicht durchführte – letzteres übrigens schon unter dem Einfluss der inzwischen Not leidenden Projekte in Dorsten und in Obertshausen, das zur selben Zeit wie Dorsten gebaut wurde.

Wie viel Eigenkapital Wolfgang Stichler in die Dorstener Atlantis GmbH eingebracht hat, ist nicht bekannt. Außer ihm war Paul Stadel an der Gesellschaft beteiligt, aber auch hier ist nicht bekannt mit welchem Betrag. Jahresabschlüsse der Atlantis GmbH, von denen man Aufschluss erwarten könnte, sind nicht auffindbar. Aber aus den Umständen kann man schließen, dass der Eigenkapitalbeitrag der beiden Gesellschafter denkbar gering war. Belegt ist, dass Wolfgang Stichler versuchte, die sich anbahnenden Zahlungsprobleme durch Darlehen seiner Ulmer Freizeitpark GmbH an die Dorstener Atlantis GmbH auszugleichen und so das Projekt zu retten. In der Ulmer Presse war später von „Finanzjonglagen“ die Rede.

Bis zum Heimfall hatte die Stadt fast 20 Millionen Euro beigesteuert

Wie viel die Atlantis GmbH in den Neubau des Dorstener Freizeitbades investierte, darüber gibt es mehrere voneinander abweichende Angaben. Sicher scheint, dass sich die Bausumme auf deutlich über 40 Millionen Mark erhöhte. Die ohnehin bestehende Finanzlücke entwickelte sich sehr rasch zu einem veritablen Liquiditätsproblem. Welchen Anteil daran die Insolvenz des für den Neubau zuständigen Generalunternehmers hatte, wie von Wolfgang Stichler behauptet, ist nicht rekonstruierbar. Ende 2001 wurde das neue Freizeit- und Erlebnisbad „Atlantis“ eröffnet.

Schon 2003 gab es Berichte über Zahlungsschwierigkeiten. Mitte Juni 2004 war die Freizeitpark Atlantis Dorsten GmbH finanziell am Ende und die Stadt stellte Insolvenzantrag. Zuvor hatte die Stadt gegenüber der Landesbank Baden-Württemberg noch eine Bürgschaft zugunsten der Atlantis GmbH über 2,5 Millionen Euro übernommen; außerdem stand im Zusammenhang mit dem angestrebten Heimfall die Übernahme der Haftung für ein Darlehen der LBBW an die Atlantis GmbH über 2,4 Millionen Euro bevor; das Darlehen war mit einer Hypothek auf dem Erbbaugrundstück der Stadt besichert. Die Anschaffungskosten für die Stadt im Falle des Heimfalls des Erbbaurechts betrugen demnach 14,3 Millionen Euro (ursprünglich 28 Millionen Mark) aus der Kapitalisierung des jährlichen Zuschusses, plus 2,5 Millionen Euro aus der Haftung für die Hypothek, plus 2,4 Millionen Euro aus der Bürgschaft, insgesamt also 19,2 Millionen Euro. Das entsprach in etwa dem Zeitwert des Freizeitbades zum Zeitpunkt der Insolvenz.

Die Stadt Dorsten beantragte nun im Rahmen des Insolvenzverfahrens den Heimfall des Erbbaurechts. Diese Entscheidung der Stadt war unter den gegebenen Umständen alternativlos. Zu groß waren die finanziellen Vorleistungen der Stadt, zu tief steckte sie in dem finanziellen Schlamassel. Die Zahlung des jährlichen Zuschusses an die LBBW hätte trotz der Insolvenz weiterlaufen müssen. Der einzige Weg, der Stadt einen Gegenwert zu sichern, bestand darin, den Anspruch auf Heimfall geltend zu machen.

Heimfall bezeichnet die Rückübertragung des Erbbaurechts an den Grundstückseigentümer vor Ablauf des Erbbauvertrags, zum Beispiel bei Insolvenz des Erbbauberechtigten. Dieser hat allerdings einen gesetzlichen Anspruch auf Entschädigung für den Vermögensverlust, den er erleidet, wenn er auf dem Erbbaugrundstück ein Gebäude errichtet hatte. Unter normalen Umständen hätte die Stadt demnach eine Entschädigung zahlen müssen, denn immerhin hatte die Atlantis GmbH ja ein komplettes Freizeitbad auf dem Grundstück gebaut. Im vorliegenden Falle machte die Stadt allerdings geltend, „dass eine Entschädigung für die Rückübertragung des Erbbaurechts nicht zu leisten  ist” (Berichtsvorlage des Bürgermeisters an den Rat vom 3. September 2004).

Eine Begründung, warum sie keine Entschädigung leisten müsse, wird in der Berichtsvorlage nicht gegeben. In der Vorlage findet sich nur dieser eine Satz: „Den dargestellten Belastungen steht der entschädigungslose Erwerb des Erbbaurechts gegenüber.“

Da ist sie, die Legende vom entschädigungslosen Heimfall des Freizeitbades! Davon stimmt, dass die Stadt für die Übertragung des Eigentums am Freizeitbad nach den Bestimmungen des Erbbaurechtsgesetzes im Rahmen des Insolvenzverfahrens keine Entschädigung zahlen musste. Das wäre auch mehr als ungerecht gewesen, denn die Stadt hatte das neue Bad mit ihren Kapitalbeiträgen ja schon vollständig finanziert.

Das Neue Kommunale Finanzmanagement zwang die Stadt zur Wahrheit

Tatsächlich war der Erwerb im Wege des Heimfalls alles andere, nur nicht kostenlos. An den Belastungen für die Anschaffungskosten wird die Stadt noch zwei Jahrzehnte zu tragen haben, denn von den 35 Jahren, in denen der jährliche Zuschuss an die LBBW gezahlt werden muss, stehen noch wenigstens 20 Jahre bevor. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der jährliche Zuschuss, der in der neuen Währung 1 Million Euro hätte betragen sollen, seit dem Heimfall auf 1,3 Millionen Euro gestiegen ist. Möglicherweise wurden die Verpflichtungen der Stadt aus der Hypothek und der Bürgschaft auf das Darlehen der LBBW draufgesattelt mit der Folge, dass die Zahlung für den Kapitaldienst sich entsprechend erhöhte.

Dass es sich bei dem jährlichen Zuschuss um eine Verbindlichkeit der Stadt handelte, die mit ihrem Barwert unter den langfristigen Verbindlichkeiten der Stadt hätte ausgewiesen werden müssen, wurde von Beginn an missachtet. Erst mit der Umstellung des städtischen Haushalts auf das Neue Kommunale Finanzmanagement 2009 wurde die Verwaltung zur Wahrheit gezwungen. Die Schulden gegenüber der Landesbank Baden-Württemberg mussten in die Bilanz aufgenommen werden und führten postwendend zu einem sprunghaften Anstieg der langfristigen Verbindlichkeiten. Im städtischen Haushalt 2009, Seite 94, heißt es dazu:

„Der Sprung in 2009 hat seine Ursache darin, dass die Stadt Dorsten in der Vergangenheit Zuschüsse an Dritte als sog. Schuldendiensthilfe geleistet hat. Da die Stadt an den nachfolgenden Einrichtungen das wirtschaftliche Eigentum erlangt hat, sind diese Vermögensgegenstände in der städtischen Bilanz zu aktivieren. Bei den Darlehen, die der Finanzierung dieser Vermögensgegenstände dienen, handelt es sich nicht um eine Schuldendiensthilfe für einen Dritten, sondern um eine Verbindlichkeit der Stadt für ihr Eigentum. Sie sind […] als Verbindlichkeiten der Stadt auszuweisen. Dadurch erhöhen sich die Kreditverbindlichkeiten:   

Schuldenstand zum 1. Januar 2009:         

134.245.648,10 Euro

(plus) Darlehen der Landesbank Baden-Württemberg für den Bau des Freizeitbades:                                                        

13.524.967,26 Euro

(ergibt den) neuen Schuldenstand zum 1. Januar 2009 von

147.784.320,36 Euro“

Bemerkenswert ist, dass der jährliche Zuschuss der Stadt an die Atlantis GmbH hier erstmals als „Schuldendiensthilfe“ bezeichnet wird. Niemals zuvor war davon je in der Öffentlichkeit die Rede gewesen. Ist diese Bezeichnung – und Zweckbestimmung –  etwa in dem Vertragspaket von 1999 so enthalten?

Die Anschaffungskosten summieren sich auf 24  Millionen Euro

Unterdessen stricken Bürgermeister und Ratspolitiker weiter an der Legende vom entschädigungslosen Heimfall  des „Atlantis“ und suggerieren damit, dass die Übernahme des Bades eine Art „Schnäppchen“ war. Sie lenken so davon ab, welche finanziellen Belastungen den Bürgern für die Fantasie von einem neuen Freizeit- und Erlebnisbad mit überregionaler Bedeutung aufgebürdet wurden. Der Bürgermeister selbst bezifferte in seiner schon mehrfach erwähnten Berichtsvorlage an den Rat im Dezember 2004 die finanzielle Belastung beim Heimfall des Bades wie folgt: „  …sie [die Stadt] hat also einen „Gesamtaufwand“ von ca. 41 Mio. DM.“ Umgerechnet sind das 21 Millionen Euro. Darin sind auch Forderungsverluste der Stadt enthalten. Durch Sanierungsaufwendungen in den Folgejahren erhöhten sich die Anschaffungskosten um weitere 2,9 Millionen Euro auf rund 24 Millionen Euro.

Wo steht das „Atlantis“ heute?

Seit der Übernahme durch die Stadt hat sich das „Atlantis“ zu einem Millionengrab entwickelt und dies, nachdem den Bürgern – und auch der Finanzaufsicht – die Entscheidung für das Bäder-Projekt 1999 als Beitrag zur Sanierung des städtischen Haushalts verkauft worden war. Erfüllt hat sich dagegen der Wunsch, dass das neue Freizeit- und Erlebnisbad überregionale Bedeutung haben sollte. In den vergangenen Jahren kamen 15 Prozent der Besucher des Bades aus Dorsten, die anderen 85 Prozent aus der Umgebung. Inzwischen scheint sich der Anteil der Dorstener zu erhöhen.

Wenn die städtische Bädergesellschaft Überschüsse erwirtschaften würde, wäre das Bäder-Projekt ein Erfolg, zu der man die Stadt nur beglückwünschen könnte. Aber das Gegenteil ist der Fall. Die Stadt muss Jahr für Jahr Gelder in Millionenhöhe zuschießen. Diese zahlen zu hundert Prozent die Bürger Dorstens alleine. Viele von ihnen, womöglich die Mehrheit, werden das Freizeit- und Erlebnisbad gar nicht nutzen, nicht wenige es vielleicht noch nie von innen gesehen haben. Überall dort, wo die Stadt ihre Leistungen als Monopolist anbietet und das Gebührenrecht anwenden kann, werden kostendeckende Preise erhoben – und mehr als das. Beim Freizeit- und Erlebnisbad, einer freiwilligen Aufgabe, nimmt sie es hin, dass die Besucher nur etwa die Hälfte der tatsächlichen Kosten zahlen. Die nicht gedeckten Kosten bürdet die Stadt der Allgemeinheit auf. Weil das so ist, wird das „Atlantis“ auch in Zukunft umstritten bleiben.

Der Fall „Atlantis“ ist in vielerlei Hinsicht ein Lehrstück. Das betrifft den Umgang mit einem Partner aus der privaten Wirtschaft im Allgemeinen, die Sorgfalt bei der Prüfung seiner Kapitalkraft, die unabhängige Analyse der Wirtschaftlichkeit des Projekts, die Informationspolitik gegenüber der Öffentlichkeit und manches andere mehr. Hatten die Bürger verstanden, in welchem Umfang sie für das Bäder-Projekt in Haftung genommen wurden? War die Politik überhaupt daran interessiert, dass die Bürger das verstehen?

Am Ende steht die Frage im Raum: wie halten es Bürgermeister und Kommunalparteien mit der Ehrlichkeit gegenüber dem Bürger? Diese Frage stellt sich wieder beim nächsten Großprojekt: dem „Mercaden“. Welche vertraglichen Vereinbarungen hat die Stadt mit dem „Investor“ Herbert Krämer getroffen? Wieder wissen die Bürger nichts darüber. – Sie sollten gewarnt sein.

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Der eingangs zitierte Satz aus der Stellungnahme der Stadt zum Thema „Atlantis“, demzufolge das Freizeitbad kostenlos auf die Stadt übergegangen wäre, kann so nicht stehen bleiben. Deswegen wird hier der Vorschlag gemacht, die bisherige Formulierung durch folgende geänderte, mutmaßlich zutreffende Fassung zu ersetzen: „Nachdem das Bad durch Ausübung des Heimfallanspruchs aus dem Erbbaurechtsvertrag zu Anschaffungskosten von 24 Millionen Euro auf die Stadt überging …“

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Leser-Kommentare

16. April 2013. – Thomas D.: „Also ich gehe gern mit meine Kindern in Atlantis, die Preise sind nicht teurer als anderswo, außerdem freue ich mich schon sehr auf die Mercaden. Vielleicht mal mit anpacken und gestalten, als immer nur meckern?
Sonnige Grüße“

16. April 2013. – Ignatz:  “In Dorsten ist – mal ganz abgesehen von der Atlantis-Pleite, die sicherlich nicht die letzte bleiben wird, bei diesem städtischen Personal – das Leben einfach nicht lebenswert. Das, was dem Gemeinwohl dienen sollte, wird durch horrende Eintrittspreise quasi unbenutzbar gemacht. Die Stadt verströmt den Charme eines abgehalfterten Ein-Euro-Shops, ohne Niveau und ohne Klasse. Was soll man hier noch?“

16. April 2013. – Bürger: „Was tut die Stadt Dorsten für ihre Bürger? Mir fällt nichts ein. Alles, was der Bürger gern in Anspruch nehmen würde, ist mit einem erheblichen Kostenaufwand verbunden. Die Pflichten der Stadt (Behörden, Schulen, kommunale Gebäuden und Flächen) werden mit einem absoluten Minimum an (Kosten) – Aufwand missmutig und unwillig erledigt. Die Gebührensätze allerdings sind gepfeffert und höher als andernorts. Es lebt sich einfach nicht gut in Dorsten. Das Atlantis ist nur ein Ärgernis von vielen; vielleicht aber das kostspieligste.“

15. April 2013. – Tegtmeier: „Wieder ein guter informativer Artikel, der die Blauäugigkeit der kommunalen Politik aufdeckt. Nicht nur, dass die Stadt mit dem Bau des ,Atlantis’ in ein Millionengrab rannte, zudem verlor Dorsten auch ein tolles Freibad und den schönen Konrad-Adenauer-Platz, der für kulturelle Veranstaltungen wie z.B. Trödelmärkte, die Kirmes und Konzerte diente. Ich gehe übrigens gar nicht mehr in das ,Atlantis’, da mir der Eintritt einfach zu teuer ist. Für den normalen Schwimmer lohnt es sich einfach nicht. Ein normales Schwimmbad, wie das 1972 erbaute, hätte für Dorsten doch genügt – hätte man das mal saniert. Wie schon erwähnt, scheint die lokale Politik nichts aus der Atlantismisere gelernt zu haben, lässt sie sich doch wieder einmal von einem neuen Prestigeobjekt den ,Mercaden’ blenden!“

 

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